Lady Bird

Originaltitel
Lady Bird
Land
Jahr
2017
Laufzeit
94 min
Regie
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Frank-Michael Helmke / 8. April 2018

Greta Gerwig war als Schauspielerin und teilweise auch als Autorin seit 2006 eines der prägenden Gesichter des "Mumblecore", einer Strömung an jungen Filmemachern innerhalb des amerikanischen Independent-Kinos, die mit Experimentierfreude und ohne Interesse an gängigen Dramaturgien versuchten, eine realitätsnahe Wahrhaftigkeit einzufangen, die in den gängigen Produktionen des Hollywood-Kinos nicht stattfindet. Mit 34 Jahren lieferte Gerwig im vergangenen Jahr nun ihr Debüt als alleinige Regisseurin und Autorin ab - und wurde sowohl für ihre Regie als auch ihr Drehbuch für den Oscar nominiert, ebenso wie das Werk selbst als bester Film. Lady BirdDas ist eine mehr als beachtliche Leistung mit einem Debüt-Film, erst recht für eine Frau, war Gerwig doch schließlich erst die fünfte weibliche Nominierte für den Regie-Oscar überhaupt. Es war fraglos aber auch hochverdient, denn "Lady Bird" ist wirklich einer der beachtlichsten Filme des Jahres und ein besonderes Werk vor allem innerhalb seines Genres. Denn es handelt sich um einen Teenager- oder "Coming of Age"-Film, nur dass man ihn in solch aufrichtiger Form nur höchst selten zu sehen bekommen hat. 

Im Zuge der umfangreichen Publicity für "Lady Bird" musste Gerwig diverse Male betonen, dass es sich nicht um eine autobiografische Geschichte handelt, man als Zuschauer also nicht den Fehler begehen soll, die Hauptfigur des Films als Alter Ego der Regisseurin selbst zu betrachten. Dieser Verdacht liegt allerdings auch ziemlich nahe - nicht nur, weil sich "Lady Bird" wirklich wie ein sehr persönlicher Film anfühlt, sondern auch, weil die Parallelen zu Gerwigs eigener Jugend mehr als offensichtlich sind. Denn Gerwigs Protagonistin Christine, die sich in einem Akt jugendlicher Selbstbestimmung den Namen "Lady Bird" gegeben hat und darauf besteht, auch von allen so genannt zu werden, absolviert im Jahr 2002 ihr letztes Highschool-Jahr an einer streng katholischen Schule im kalifornischen Sacramento - exakt, wie es auch die Filmemacherin selbst getan hat. Selbst wenn Gerwig hier also nicht ihre eigene Geschichte erzählt, so erzählt sie doch präzise aus ihrem eigenen, konkreten Erfahrungsschatz heraus. Was definitiv einer der Gründe ist, warum "Lady Bird" sich authentischer, unprätentiöser und wahrhaftiger anfühlt als so ziemlich jeder andere Teenager-Film amerikanischer Prägung. 

Lady BirdDer Film folgt - ganz im Geiste des "Mumblecore" - nicht wirklich einem gängigen Plot. Gerwig versteht es mit viel Geschick, gewisse Handlungslinien zu entwickeln, um ihrem Film Stringenz und Struktur zu geben, ohne dabei jedoch jemals in die Künstlichkeit einer konventionellen Filmdramaturgie abzudriften. Stattdessen hat man schlicht das Gefühl, Lady Bird durch ihr letztes Schuljahr zu begleiten und durch all die Aufs und Abs, die im Grunde alle Teenager in dieser Phase auf die eine oder andere Art durchmachen. Und so wird hier jeder Zuschauer (und erst recht jede Zuschauerin) zahlreiche Motive wiederfinden, die er/sie noch aus der eigenen Jugend kennt. Lady Bird (die einmal mehr absolut grandiose Saoirse Ronan, die mit erst 23 Jahren hierfür ihre bereits dritte Oscar-Nominierung bekam) ist im weitesten Sinne auf der Suche nach sich selbst: Sie stürzt sich immer wieder in oft ziellose, aber dennoch sehr energisch geführte Kämpfe der Selbstbehauptung gegen ihre Eltern, vor allem mit ihrer Mutter (ebenfalls Oscar-nominiert: Laurie Metcalf); sie unternimmt erste Gehversuche in ihrem Liebes- und Sexleben; sie hadert mit ihrer Herkunft und ihrer Identität als Tochter aus sehr bescheidenen Verhältnissen; und sie malt sich einen Traum von dem besseren Leben aus, das sie nach ihrem Schulabschluss erwarten wird, wenn sie ihre öde Heimatstadt endlich verlassen und in eine aufregende Großstadt ziehen kann - sofern sie es schafft, an der entsprechenden Universität aufgenommen zu werden.

Lady BirdDieses Ziel - natürlich New York, wie es sich als Sehnsuchtsort für einen künstlerisch angehauchten amerikanischen Teenager gehört - ist das einzig durchgängige Handlungsmotiv in Lady Birds Abschluss-Schuljahr, während sie ansonsten so unkoordiniert und impulsiv durch die letzten Monate ihrer Jugend stolpert, wie das nun mal in der Wirklichkeit tatsächlich ist. Das Außergewöhnliche und Großartige dabei ist, wie echt Gerwig ihre Protagonistin dabei zeichnet - weil sie eben nicht so tut, als wäre Lady Bird etwas Besonderes, und auch nicht versucht, sie in konventioneller Filmform zu einer dezidiert sympathischen Hauptfigur aufzubauen. Stattdessen ist Lady Bird halt vor allem ein ganz typischer Teenager, teilweise verträumt und idealistisch, oft aber auch anstrengend und zickig und altklug, und manchmal schlicht herzlos und gemein, wenn sie sich dem so typischen Teenager-Bedürfnis hingibt, zu den cooleren und populäreren Kids gehören zu wollen. 

Während Lady Bird in typischer jugendlicher Ahnungslosigkeit durch ihre spezifischen Erfahrungen tapst, gelingt es Gerwig durch ihre feinfühlige Erzählung, daraus allgemeingültigere Wahrheiten über das Jungsein und die Selbstsuche an sich zu destillieren, und dieser sehr persönlichen Geschichte dadurch enorme Prägnanz zu verleihen. Auch und vor allem aus femininer Perspektive, denn gerade die Sensibilität, mit der Gerwig die Dynamiken in Lady Birds komplizierter Beziehung zu ihrer Mutter und in ihrem Verhältnis zu ihrer besten Freundin zeichnet, sind ganz großes Kino. Lady BirdZugleich geht es dabei höchst unterhaltsam zu, dank Lady Birds großmäuliger Schlagfertigkeit und der milden Absurdität, mit der Gerwig die Eigenwilligkeiten des streng katholischen Kosmos an Lady Birds Schule zeichnet. So ist "Lady Bird" in zahlreichen Momenten auch schlicht grandios komisch, ohne es sich dabei aber allzu leicht zu machen und seine Figuren einfach der Lächerlichkeit preiszugeben, egal wie selbstgerecht, fromm, engstirnig oder oberflächlich sie daherkommen. Gerwig empfindet für alle ihre Figuren mit ihren jeweiligen Unzulänglichkeiten eine gewisse, aufrichtige Wärme, und das merkt man dem Film in jeder Minute an. 

Das wahrlich Herausragende an "Lady Bird" ist, dass der Film sich überhaupt traut, so dermaßen ehrlich und authentisch zu sein - dass er eben nicht nur sämtliche Konventionen eines Mainstream-Teenagerfilms hinter sich lässt (ja, es gibt hier einen Abschlussball, aber nein, keinen Tanz mit dem "Traumprinzen"), sondern auch ohne die latente Überheblichkeit einer typischen Independent-Produktion auskommt, jene gewisse Distanziertheit zu den eigenen Figuren, mit der viele Indie-Filmemacher selbstgefällig über ihren Charakteren stehen - weil sie sich, nachdem sie es endlich an welche Kunsthochschule auch immer geschafft haben, so unendlich viel Mühe geben, ihre gewöhnliche und uncoole Herkunft zu verleugnen, so als ob sie schon immer in New York gelebt hätten. Nicht so Gerwig. Sie steht dazu, dass sie einst einmal vielleicht nicht exakt Lady Bird war, aber mit Sicherheit ein junges Mädchen ganz ähnlich wie Lady Bird. Voller jugendlicher Arroganz und Fehler, dumm und weltfremd und planlos. Und einfach echt. 

Bilder: Copyright

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