Victoria & Abdul

Originaltitel
Victoria and Abdul
Jahr
2017
Laufzeit
112 min
Release Date
Bewertung
4
4/10
von Frank-Michael Helmke / 17. September 2017

Im Leben der legendären englischen Königin Victoria, die bis zu ihrem Tod im Jahr 1901 fast 64 Jahre auf dem Thron verbrachte, spielten drei Männer eine besondere Rolle. Der Erste war ihr Ehemann und Vater ihrer neun Kinder, Prinz Albert von Sachen-Coburg und Gotha - diese große Liebesgeschichte wurde vor einigen Jahren mit Emily Blunt in "Young Victoria" fürs Kino adaptiert. Der Zweite war der Diener John Brown, der nach Alberts Tod 1861 zum engsten Freund und Vertrauten (und manche Klatschmäuler sagen, auch noch zu etwas mehr) der Königin aufstieg - auch diese besondere Beziehung wurde bereits auf der großen Leinwand präsentiert, in "Her Majesty, Mrs. Brown" von 1997, für den Judi Dench im bereits rüstigen Alter von 63 Jahren damals ihre erste von inzwischen sieben Oscar-Nominierungen einfuhr. Victoria & AbdulZwanzig Jahre später schlüpft Judi Dench nun erneut in die Rolle der Monarchin, um auch dem dritten bedeutsamen Mann in Victorias Leben die Leinwand-Ehre zu erweisen, namentlich Abdul Karim, der wenige Jahre nach John Browns Tod ab 1887 zu Victorias nächstem Lieblings-Diener und engem persönlichem Freund aufstieg und sie bis zu ihrem Tod begleitete. 

Karim kam aus Indien und sollte lediglich als eine Art Repräsentant dieses Teils des englischen Weltreichs in die Hofdienerschaft Victorias aufgenommen werden. Dass die Königin solch Gefallen an ihm fand, ihn zu ihrem persönlichen Lehrer für indische Sprachen und Bräuche erhob (was ihm den Beinamen "Munshi" eintrug) und ihn mit immer mehr Privilegien versah, führte damals zu viel Ungemach am Hof. Der Grund dafür lag natürlich vor allem im inhärenten Klassenbewusstsein und dem ebenso allumfassenden Rassismus der englischen High Society: Man hatte sich gefälligst entsprechend seines Standes zu verhalten, und da sich England damals (mit einiger Berechtigung) als Herrscher über die Welt empfand, war jeder Ausländer - vor allem aus den eigenen Kolonien - automatisch ein niederer Mensch. Es ist indes eine durchaus interessante Frage, ob die allgemeine Abneigung des Hofes gegenüber Abdul Karim einzig auf Vorurteilen begründet war, oder ob Karim diese auch zum Teil selbst befeuerte, durch seine Arroganz angesichts seiner Sonderstellung unter der Dienerschaft und der persönlichen Vorteile, die er sich durch die besondere Gunst der Königin zu verschaffen wusste. Kurz gesagt: Ein filmisches Porträt der besonderen Beziehung von Victoria und Abdul Karim hätte eine komplexe Abhandlung darüber werden können, wie auch ein "niederer" Diener sich durch Macht korrumpieren lässt, und wie eine im Herzen einsame Monarchin diese Charakterschwächen bewusst ausblendet, um am engsten Freund, den sie in ihrem hohen Alter noch hat, nicht zweifeln zu müssen. 

Victoria & AbdulLeider ist "Victoria & Abdul" ein anderer Film, nämlich einer, der an derlei komplizierten Fragen ebenso wenig Interesse hat wie an komplexen Charakteren. Das betrifft zuvorderst seine männliche Hauptfigur, denn der hier präsentierte Abdul Karim (Ali Fazal) ist eine Fantasie-Gestalt wie aus einer verkitschten Romantisierung des Orients. Ein schwärmerischer Botschafter seiner Kultur, der Victoria mit seiner Zen-artigen Ausgeglichenheit und Lebensklugheit begeistert und fast immer ein sanftes Lächeln um die Lippen zu tragen scheint, als sei er in seiner quasi angeborenen Weisheit über alles Irdische erhaben. Das ist für das erste Viertel des Films noch ganz nett anzuschauen und vermittelt zumindest eine ungefähre Ahnung, wieso Karim neuen Schwung und Lebensgeister in Victorias Dasein brachte, die hier zu Beginn des Films als freudlose, wenn nicht gar lebensmüde alte Dame dargestellt wird. Doch schon bald fängt dieses immer gleiche Bild Abduls an, eintönig und langweilig zu werden, und seine ach so klugen Kalendersprüche mag man sich auch nicht mehr anhören. 

Kurz gesagt: Es fehlt der Hauptfigur des Films an jeglicher Entwicklung, und letztlich auch an jedweder Aktion. Abdul bleibt eine Marionette der Handlung, sämtliche Konfrontationen und Eklats, die durch seine Anwesenheit ausgelöst werden, entwickeln sich zwischen Victoria und ihrem Hof, vornehmlich ihren eifersüchtigen direkten Bediensteten und den wichtigsten Würdenträgern, wie Victorias Sohn Bertie (Eddie Izzard), ihrem späteren Thronfolger. An keiner Stelle erhält Abdul vom Drehbuch eine echte Chance, einmal wirklich selbst seinen Mann zu stehen, sich eigenhändig gegen die allgegenwärtige Xenophobie und Missgunst zu wehren, die ihm am Hof entgegen schlägt. Die Angst vor Abduls möglicher Einflussnahme auf die Königin wirkt auch wegen dieser Passivität geradezu lächerlich hysterisch, wenn die wichtigsten politischen Amtsinhaber die Köpfe zusammenstecken und reden, als würde der indische Diener eigenhändig den Niedergang des britischen Imperiums herbeiführen können. 

Victoria & Abdul

In dieser Weise spielt "Victoria & Abdul" auf einer Klaviatur ohne jede Variation, auch weil der Film die Irritationen zwischen seinen zwei Hauptfiguren auf ein Minimum reduziert und stets auch so schnell wie möglich wieder auflöst, so dass diese Mär von der außergewöhnlichen Freundschaft zwischen der Königin und ihrem orientalischen Diener eben genau das bleibt: Ein harmloses Märchen, weiter nichts. Auch Regisseur Stephen Frears ("Die Queen", "Philomena") scheint kein tiefergehendes Interesse am Stoff zu haben und inszeniert seinen Film eher wie eine Culture-Clash-Komödie, die sich auf die naheliegendsten Quellen für leicht zu erntende Lacher konzentriert und reichlich Spott gegen die Absurdität des höfischen Zeremoniells abschießt. Die ständigen dummen Gesichter der Bediensteten, wenn Victoria zugunsten ihres indischen Lieblings mal wieder mit dem vermeintlich unumstößlichen Protokoll bricht, nutzen sich allerdings genauso schnell ab wie das geradezu kitschig inszenierte Leuchten in Victorias Augen, wenn Abdul in tausend Farben von seiner fernen Heimat schwärmt - einem Land, über das Victoria zwar herrscht, das sie aber niemals selbst besuchen können wird. 

Selbst die unbestreitbare schauspielerische Größe von Judi Dench, die so eine Nummer wie hier quasi auf der rechten Arschbacke runterspielt und dabei immer noch mindestens semi-grandios wirkt, kommt gegen die Eintönigkeit und Einseitigkeit des Films nicht an, die "Victoria & Abdul" letztlich zu einer sehr zähen und langweiligen Angelegenheit machen. Die Absicht in allen Ehren, ein kleines Mahnmal gegen inhärenten Rassismus setzen zu wollen, aber wenn man das Opfer dabei so wie hier völlig unkritisch als quasi engelsgleichen Heiligen zeichnet, tut man der Sache irgendwie auch keinen Gefallen. Denn so kann man diese Geschichte letztlich nicht ernst nehmen. Und ansehen muss man sie sich erst recht nicht. 

Bilder: Copyright

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