Tuyas Hochzeit

Originaltitel
Tuya De Hun Shi
Land
Jahr
2006
Laufzeit
96 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Patrick Wellinski / 14. Juli 2010

 

Tuya kann nicht mehr. Sie kann sich nicht mehr um ihren schwerkranken Mann, um die Tiere, den Haushalt und die Kinder kümmern. Die Last übersteigt ihre Kräfte. Es dauert nicht lange und es steht für die junge Frau fest, dass sie sich einen zweiten Ehemann suchen muss, der sie entlastet. Doch die Suche nach einem Mann, der dazu noch Tuyas Forderung akzeptiert, ihren ersten Mann nicht zu verstoßen, gestaltet sich schwieriger als erwartet. Es gestaltet sich deshalb schwieriger, weil die Männer, die sich um Tuyas Gunst bewerben, in vielerlei Hinsicht Nieten und Versager sind. Zwischen den großen übergewichtigen Widerlingen und ständig betrunkenen Nichtsnutzen will sich die äußerst selbstbewusste Frau nicht entscheiden.

Sehr genau, fast schon dokumentarisch, beobachtet der junge chinesische Regisseur Wang Quan'an den Leidensweg dieser Frau, die kongenial von der asiatischen Schönheit Nan Yu (sie ist übrigens die einzige professionelle Schauspielerin im Film, der Rest sind äußerst begabte Laien) verkörpert wird. Unter den dicken Schichten der traditionellen mongolischen Kleidung ist von dieser Schönheit im Grunde gar nichts mehr zu sehen, doch der Film lässt sie immer wieder erahnen, indem er Tuya genau beobachtet, ihr quasi ständig über die Schulter guckt und so eine gewisse Bindung zu ihr entwickelt. Das Wohlwollen und die uneingeschränkte Sympathie der Zuschauer hat sie so im Handumdrehen sicher.
Doch trotz dieser präzisen Beobachtung des Hauptcharakters bleibt Quan'an noch die Zeit, nicht nur die weite und öde Landschaft der Mongolei zu erkunden - übrigens außerordentlich schön in Bilder gefasst vom deutschen Kameramann Lutz Reitemeier - sondern auch an einigen Stellen sozialkritische Töne anklingen zu lassen. Das zeigt sich besonders gut, wenn ein Verehrer mit einem neuen schwarzen Mercedes vor Tuyas Jurte vorfährt. Die Szenerie hat dann fast schon etwas Groteskes. Der Ehe-Anwärter nun meint es sichtlich ernst und bietet Tuya eine Zukunft, die sichtlich auf einer weitaus gefestigteren kapitalistischen Basis beruht als das bisher der Fall war. Doch als er ihren ersten Mann in ein für westliche Verhältnisse sehr schäbiges (immerhin gibt es ein Spinning-Rad zum Zeitvertreib) Sanatorium verlegen möchte, kann Tuya diese Entscheidung nicht mittragen. Hier spiegelt sich auf eine wunderbar ruhige und völlig unsentimentale Art, dass in der Mongolei zwischen luxuriösem Wohlstand und bedürftiger Armut ganze Welten liegen.

Vielen Kinogängern wird der Kosmos, den Wang Quan'an in seinem zweiten Spielfilm beschreibt, aus den Filmen der auch für einen Oscar-nominierten Münchner Filmhochschulabsolventin Byambasuren Davaa (u.a. "Die Geschichte vom weinenden Kamel") oder auch aus dem in Deutschland zu einem kleinen Überraschungserfolg mutierten chinesischen Film "Magnolian Pinp Pong" von Ning Hao bekannt sein. Beide  Filmemacher zeigen in ihren Filmen eigentlich dasselbe. Sie dokumentieren den langsamen Zerfall und den damit zwangsläufig einhergehenden Untergang einer Kultur, die sich nur mit der ihr größtmöglichen Isolation von einer zunehmend von der Globalisierung geprägten Gesellschaft distanzieren kann. Der dadurch resultierende "Clash der Kulturen" erschafft in den oft schwelgerisch romantischen Kinobildern eine sehr angenehme Ironie. Im Kino darf also noch gelacht werden, wobei die Realität bitterernst bleibt und bar jeglicher Romantik ihre harschen Bahnen zieht.
"Tuyas Hochzeit", der diesjährige Überraschungssieger der Berlinale, setzt aber seine Ironie nur sehr sparsam ein. Er fokussiert sich vielmehr auf den Leidensweg Tuyas und ihre heimlichen amourösen Avancen gegenüber einem verheirateten Nachbarn. So ist es auch am Ende Tuyas einzigartiges Gesicht, das tränenüberströmt am Tage ihrer Hochzeit in einem Close-Up gezeigt wird. Ein furchtbar ergreifendes Bild der Kraftlosigkeit, das in seiner Beiläufigkeit sicherlich zu den wunderbarsten Momenten in diesem Kinojahr gehört.


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