Tony Takitani

Originaltitel
Tony Takitani
Land
Jahr
2004
Laufzeit
75 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
5
5/10
von Margarete Prowe / 28. Dezember 2010

Lange musste man warten, doch nun kommt endlich die erste Verfilmung einer Erzählung von Haruki Murakami in die Kinos, dem japanischen Kultautor, der mit Werken wie "Mr. Aufziehvogel", "Wilde Schafsjagd" und "Naokos Lächeln" weltweite Erfolge feierte. In Japan zwar von manchen beschimpft als "batakusai" (ungefähr: nach Butter stinkender Wessi), weil er jahrelang in den USA lebte und sich westlichen Erzählstrukturen und Autoren mehr verbunden fühlt als japanischen, gewann Murakami dennoch alle wichtigen Literaturpreise und wird vom Publikum in Ost und West gleichermaßen geliebt. Doch auf hohe Erwartungen folgen ein flaues Gefühl im Magen und ein empfindlicher Hustenreiz, den man aufgrund der dauernden Geräuschlosigkeit des Films "Tony Takitani" beim Betrachten über lange Zeit unterdrücken musste. Jun Ichikawa verfilmt hier die gleichnamige Erzählung Murakamis, die in Deutschland gleichzeitig mit dem Filmstart im Dumont Verlag erscheint - obwohl sie schon vor über zehn Jahren geschrieben wurde. In Locarno gewann die Verfilmung den FIPRESCI-Preis und wurde beim Sundance Film Festival 2005 begeistert aufgenommen.

Der Inhalt dieses Werkes ist sehr übersichtlich, was bei einer Spielzeit von 75 Minuten beziehungsweise einer Buchlänge von 64 Seiten (schon angereichert mit Fotos aus dem Film) kaum überrascht. Der Vater (Issey Ogata) von Tony Takitani (auch Issey Ogata) ist ein Jazzmusiker, der den Zweiten Weltkrieg und leider auch seine drei Tage nach der Geburt des Sohnes verstorbene Frau überlebt, und nun kaum etwas anzufangen weiß mit dem Kind, das seinen so unjapanischen Vornamen von seinem amerikanischen Taufpaten erhielt. "Shozaburo Takitani eignete sich nicht zum Vater, und auch Tony Takitani besaß wenig Eignung zum Sohn", teilt uns der Erzähler (Nishijiama Hidetoshi) aus dem Off mit, der im Folgenden scheinbar fast den gesamten Originaltext verliest - visuell liefert der Film quasi die Untermalung dazu.
So wächst Tony relativ alleingelassen aber nicht einsam auf, während sein Vater mit Jazz und Frauen beschäftigt ist. Er ist ein verschlossenes Kind ohne Freunde, das jedoch eine Begabung hat, die ihn herausstechen lässt aus seinen Klassenkameraden: Er zeichnet. Nach dem Kunststudium wird er aufgrund seiner präzisen Arbeit Illustrator für technische Zeichnungen und lässt auch nun kaum Gefühlsregungen erkennen. Ganz und gar unscheinbar erscheint er, bis eines Tages die fünfzehn Jahre jüngere Konuma Eiko (Rie Miyazawa) in sein Leben tritt, die immer perfekt gekleidet ist.
Nun folgt das kleine Happy End: Sie heiratet Tony und beide gehen auf Hochzeitsreise ins ferne Europa. Es könnte alles so schön sein, wenn nicht Eikos Besessenheit von Designer-Kleidung sie in die schicken Boutiquen statt in den Louvre ziehen würde. Wie im Rausch kauft sie Kleider, und ihr Ehemann bezahlt anstandslos. Er liebt seine Frau, und hat er sie nicht gerade wegen ihrer perfekten Kleidung damals bemerkt? Auch nach der Hochzeitsreise kommt seine Frau nie ohne Pelz oder Schuhe, Röcke oder Hüte heim, bis ihre Kleider ein ganzes Zimmer des Hauses füllen. Auf schier endlosen Stangen reihen sich die Kostbarkeiten, und so entschließt sich Tony, seine Frau um Mäßigung zu bitten. Wie eine Drogenabhängige auf Entzug putzt die Bildschöne jetzt das Haus, bis sie sich eines Tages nicht mehr zurückhalten kann.

Einsamkeit und Verlust sind Themen, für die Haruki Murakami bekannt ist. Seine Charaktere sind Einzelgänger, die sich meist jenseits der gesellschaftlichen Pfade auf die Sinnsuche begeben und dabei durch ihre Individualität und Isolation ganz und gar nicht dem propagierten Ideal des in gesellschaftliche Strukturen eingebundenen Japaners entsprechen. Murakamis Hauptpersonen sind interessiert an den großen Dingen des Lebens, mit denen man sich als fleißige Arbeiterbiene kaum beschäftigt. Gleichzeitig sind seine Protagonisten immer mit Herz bei der Sache, können sich ganz verlieren in der Zubereitung von Spaghetti oder der Betrachtung eines Grashalms in ihrem Garten. Auch Kleidung ist ein Thema, welches in fast jedem seiner Romane erscheint. Hemden zur Reinigung zu bringen kann hier zur wichtigsten Aufgabe des Tages werden.
Spielen diese Motive zwar in "Tony Takitani" eine Rolle, so erfahren sie doch nicht die detaillierte Betrachtung, die ihnen in den Büchern zuteil wird. Während der Leser mit verklärtem Blick die Beschreibungen in den Büchern aufsaugt und im Geiste gerade wie ein Meistervirtuose Spaghetti kocht, bleibt das Publikum des Films außen vor. Voyeuristisch aber distanziert ist der Blick auf die Figuren. Trotz renommierter Schauspieler wirken die ausgedrückten Gefühle nicht echt, weil man so nah und doch so fern am Geschehen teilzunehmen scheint. Auf der Leinwand weint eine Frau im Kleiderzimmer minutenlang, während das Publikum unangenehm berührt auf den Stühlen hin und her rutscht, und sich im stillen Kinosaal immer noch nicht zu husten traut.

Der Regisseur Jun Ichikawa, der bisher eher für seine Werbefilme und seine naturalistische Filmarbeit bekannt ist, hat sich hier zum Ziel gesetzt, seine Figuren sowohl symbolisch darzustellen als auch ihre inneren Konflikte äußerlich anschaubar zu machen und diese Menschen gleichzeitig dem Zuschauer nahe zubringen, doch führt dies stellenweise zu sinnfreien Längen, in denen die Geräuschlosigkeit des Films zu atemanhaltenden Zuschauern führt, denen schneller die Puste ausgeht als der nächste Schnitt erfolgt.
Einsam und bläulich eingefärbt wie Edward Hoppers Gemälde lassen die Bilder den Betrachter frösteln, doch bleibt die in den kleinen Dingen des Lebens einsetzende Wärme der Erzählungen Murakamis aus. Und genau dies kann man dem Film vorwerfen: Ichikawa verfilmt die Hauptthemen Murakamis, lässt aber die Kleinigkeiten, die diese Werke ausmachen, einfach aus. So erinnert dieser Film zwar klar an den Autor, doch bleibt der Zauber auf der Strecke.
Durch die dauernde Erzählstimme aus dem Off und die Tatsache, dass die Bilder im 360°-artigen Winkel aneinandergereiht werden, wirkt das Werk wie ein Hörspiel mit Dias. Das ist zwar interessant, liefert aber eher ein multimediales Kunstwerk als einen Film. Wie in einem Traum geschehen die Dinge, während uns eine Stimme in den Schlaf wiegt. So bleibt "Tony Takitani" schließlich entweder als Überdosis Valium oder als Meisterleistung des visuellen Mediums in Erinnerung.


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