Tigerland

Originaltitel
Tigerland
Land
Jahr
2001
Laufzeit
101 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Frank-Michael Helmke / 16. Juni 2010

 

Joel Schumacher musste Wiedergutmachung leisten. Nach seinen zwei Bonbon-Batman-Filmen von Fans und Kritikern kollektiv abgewatscht, stand es schlecht um seinen Ruf als Regisseur mit künstlerischem Anspruch. Der erste Versuch, verlorenes Territorium zurückzugewinnen, hieß "8 Millimeter" doch diese Auseinandersetzung mit dem Skandalthema Snuff-Movies war nach wie vor zu glatt, roch zu sehr nach kalkulierter Kontroverse (wie schon bei Schumacher's bisherigem Meisterstück "Falling Down"). "Makellos" entpuppte sich als schlecht geschriebenes Vehikel für Robert de Niro und Philip Seymour Hoffman, der gute Ruf immer noch im Eimer. Solch eine Situation verlangte nach radikalen Maßnahmen, und diese tragen den Titel "Tigerland": Joel Schumacher's Beitrag zum Vietnam-Thema kommt ohne namhafte Stars aus, hat angeblich weniger als eine Million Dollar gekostet und versteht sich so vor allem als verzweifelter Freischwimmversuch vom Kommerz-Kino. Und zumindest das ist geglückt.


Wie macht man indes einen Vietnam-Film für so wenig Geld? Allein die exotischen Drehorte müssten doch Unsummen verschlingen. Die Lösung ist einfach: Schumacher konzentrierte sich auf die letzte Ausbildungsetappe der zukünftigen Rekruten, ein Aspekt des Krieges, der, abgesehen

vom legendären ersten Drittel in Kubrick's "Full Metal Jacket", bisher in der filmischen Behandlung sträflich vernachlässigt wurde. Im sumpfigen Hinterland von Louisiana ist das Drehen preiswerter, und genau dort liegt auch das titelgebende "Tigerland", ein beinhartes Trainingscamp und "das Ähnlichste zum vietnamesischen Dschungel, was wir auf amerikanischem Boden haben". In diesem Vorhof zur Hölle, der letzten Durchlaufstation vor der Abfahrt nach Südostasien, trifft ein ungleicher Haufen Rekruten aufeinander, die markantesten von ihnen der romantisch verklärte Paxton, der sich von Kriegserlebnissen literarische Inspirationen verspricht, wie sie einst Hemingway groß machten, und der aufmüpfige Bozz. Der scheint vor allem auf eines aus: Ärger. In der strikt auf Gehorsam ausgerichteten Armee macht er sich mit seiner konsequenten Befehlsverweigerung natürlich alles andere als beliebt, und provoziert auch bei seinen Kameraden sehr unterschiedliche Reaktionen. Während Paxton und andere seinen Mut bewundern, hat der zum Platoon-Führer ernannte Miter seine liebe Not mit dem unbeugsamen Charakter, und Leute wie der engstirnige Wilson sind eigentlich nur noch sauer. Klar, Bozz will raus aus der Armee, was aber gar nicht so einfach ist.

Erstens, weil die Armee Leute nicht ohne triftigen Grund gehen läßt, und zweitens, weil in Bozz ein Führungspotential steckt, daß man nur ungern ungenutzt lassen will.

Hier ungefähr fängt das Problem von "Tigerland" an, der es sich, bei all seiner hautnahen Intensität, streckenweise zu einfach macht und manche Fragen gar nicht erst aufwirft, um sich vor der Antwort zu drücken. So tritt Bozz als unbestreitbar kluges Kerlchen auf, der die Bestimmungen und Regeln der Armee so gut kennt, daß er genau weiß, wie man am leichtesten wieder raus kommt. Ein Wissen, von dem im Verlaufe des Films mehrere seiner Kameraden profitieren. Weshalb jedoch Bozz selber sich nicht mit einem dieser windigen Tricks aus dem Staub macht, um so dem Krieg auf völlig legalem Wege zu entgehen, bleibt ein Mysterium. Ähnlich mysteriös wie die Beweggründe Wilsons, dessen Wut auf Bozz ohne nachvollziehbare Motive im Laufe des Films zu einer fixen Idee hochstilisiert wird. Das daraus resultierende Duell, immerhin tragend für das letzte Viertel des Films, bleibt damit substanzlos und hinterläßt den faden Nachgeschmack eines billigen Tricks zum Spannungsaufbau.


Was schade ist, denn eigentlich hat "Tigerland" so etwas gar nicht nötig: Vom Dänen-Dogma inspiriert, gelingt dem Film mit seiner körnigen Handkamera eine wirklichkeitsnahe Visualisierung, die an tatsächliche Armee-Übungsfilme aus den 60ern erinnert. Das mehr gedankliche Duell zwischen dem den Sinn des Krieges hinterfragenden Bozz, der damit die kritische Haltung der damaligen Gesellschaft personifiziert, und der Funktionsweise einer Armee - nicht denken, nur gehorchen - bietet nicht nur genug Material für die erste Hälfte des Films, sondern hätte bei voller Konsequenz durchaus für mehr gereicht. Daß "Tigerland" diese komplexen Trampelpfade jedoch verläßt und gegen Ende doch wieder mehr auf erprobte Marschrouten setzt, mag daran liegen, daß Meister Schumacher doch nicht so recht von seinen Leisten lassen mag. Der Schluß biedert sich zu sehr der konventionellen Moral an, um dem subversiven Charakter des Films wirklich gerecht zu werden. Schade drum.



So erweist sich als positivster Effekt von "Tigerland" letztlich die Tatsache, daß eine Horde äußerst vielversprechender Jungdarsteller ihr Gesicht zeigen durfte, wobei speziell Colin Farrell als Bozz bleibenden Eindruck hinterläßt. Und Joel Schumacher darf jetzt auch mal wieder Popcorn-Kino machen, ohne das gleich wieder alle über ihn herfallen. Solang er die Finger von Batman läßt.


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