Slow West

Originaltitel
Slow West
Jahr
2014
Laufzeit
84 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Volker Robrahn / 29. Juli 2015

slow w 1Es ist der amerikanische Westen des späten 19. Jahrhunderts und es ist definitiv nicht der richtige Ort für Jay Cavendish (Kodi Smit-McPee). Der naive sechzehnjährige Schotte ist in einem Anfall von Romantik einfach seiner großen Liebe hinterhergereist, die zusammen mit ihrem Vater aus der Heimat fliehen musste und im wilden Westen ein neues Leben beginnen möchte. Jay würde inmitten der unbarmherzigen Natur und umgeben von üblen Mitmenschen vermutlich keine Woche lang überleben, träfe er nicht auf den wortkargen Vagabunden Silas (Michael Fassbender), der ihm seine Dienste anbietet. Der erfahrene Westmann weiß jedoch etwas, von dem Jay nichts ahnt: Auf seine geliebte Rose (Caren Pistorius) und ihren Vater John (Rory McCann) ist auch in Amerika ein Kopfgeld ausgesetzt und es gibt gleich mehrere Parteien, die sich dieses verdienen wollen. Auch für Silas könnte das die eigentliche Motivation sein Jay zu begleiten, doch lässt der meist so abgehärtet wirkende Mann auch immer wieder einen Funken Menschlichkeit durchscheinen.

 

sw 2 Womit er etwas Seltenes und Besonderes darstellt, denn die Gestalten, die sich ansonsten im ersten Langfilm von John MacLean herumtreiben, stellen eher den Bodensatz an Moral und Vertrauenswürdigkeit dar. Der nennt sein Werk „Slow West“ und konsequenterweise ist es dann auch genau das, was er dem Zuschauer präsentiert: Ein sehr langsamer, aufs Notwendigste reduzierter Western, der sich trotz der kurzen Laufzeit von insgesamt nur 85 Minuten vor allem zu Beginn sehr viel Zeit nimmt (auch wenn das Filmplakat da einen etwas anderen Eindruck zu vermitteln versucht).

Die äußerst ruhigen Szenen inszenieren die genauso schöne wie raue Natur beinahe so wie es sonst nur ein Terrence Malick tut, nur um die Stille dann immer wieder mit einem neuen Ausbruch heftigster Gewalt zu konterkarieren - und im Gegensatz zu Malick auch immer mal wieder mit lakonischem Humor. Hier wird sehr schnell und fast beiläufig gestorben und niemand kommt auf die Idee sich mit seinem Gegner so etwas wie ein faires Duell zu liefern. In dieser Welt gilt so ziemlich die purste Version des Darwinismus, die man sich vorstellen kann, und der hoffnungslos überforderte Jay wäre auf sich allein gestellt definitiv nicht auf der Siegerseite zu finden. Wenn es die denn überhaupt gibt, ist doch jede überstandene heikle Situation womöglich nur ein kurzer Aufschub, bevor es einen doch noch jeden Moment erwischen kann.

sw 3Trotz aller Trostlosigkeit, die vermutlich der Realität des nicht wirklich an die Zivilisation angeschlossenen Westens der Vereinigten Staaten in dieser Periode deutlich näher kommt als jeder klassische Edel- und auch jeder betont dreckige Italo-Western, ist es aber nicht so, dass Regisseur und Drehbuchautor MacLean einem reinen Nihilismus verfallen würde, bei dem dann letztlich auch alles egal ist. Bei den meisten der traurigen Gestalten, die sich hier versammeln, ist es weniger eine angeborene Bosheit als einfach die Erbarmungslosigkeit der Umgebung, die sie dazu bringen auf das Leben und Wohl ihrer Mitmenschen nur wenig Rücksicht nehmen zu können, denn die „Wahl“ hat hier kaum einer. Wer jedoch am stärksten mit sich und seinen inneren Dämonen kämpft ist der vermeintlich härteste Mann im Spiel, und es ist ein großes Glück, dass sich ein Michael Fassbender für diesen doch eher kleinen Film verpflichten ließ. Der glänzt - trotz einer deutlich geringeren Anzahl an Szenen um sich darin entfalten zu können - genauso stark und überzeugend wie sonst vor allem in den Werken seines Dauerpartners Steve McQueen (12 Years a Slave“, „Shame“). Auch der schmächtige Kodi Smit-McPee beweist einige Jahre nach „The Road“ endgültig, dass er es auf mehr als nur eine kurze Karriere als Kinderstar anlegt.

sw 4Wer etwas Geduld aufbringt und auch grundsätzlich ein leichtes Faible für moderne Western-Inszenierungen hat (der Rezensent besitzt zugegebenermaßen sogar ein großes), der wird mit einem grausam-schönen Film belohnt und einem sich unweigerlich aufbauenden Finale, das er so sicher auch noch nicht gesehen hat. Und das dann auch konsequent alle Fragen beantwortet, die irgendjemand in Sachen Romantik und Illusionen vielleicht doch noch bis zu diesem Punkt mitgeschleppt hat. Und doch bleibt am Schluss trotz aller emotionalen Wirkungstreffer tatsächlich so etwas wie ein undefinierbares, leicht bittersüßes Gefühl zurück. Das muss man als unerfahrener Filmemacher erst mal hinbekommen und deshalb steht ein gewisser John MacLean nach diesem kleinen, feinen Film ab sofort unter wohlwollender aufmerksamer Beobachtung. 

Bilder: Copyright

"der Rezensent besitzt zugegebenermaßen sogar ein großes"
ich auch! ich fand true grit toll, mag todeszug nach yuma, liebe three burials, natürlich deadwood, finde open range gut und natürlich erbarmungslos.
hat der rezensent oder ein anderer tipps, die sich da einreihen können?`wäre wirklich dankbar!

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@ Anouk -

Pat Garrett and Billy the Kid (1973) Todesmelodie (1970) (für mich der beste Italowestern), Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford (2007) (grandios fotografiert) und vor allem McCabe & Mrs. Miller von Robert Altman aus dem Jahre 1971. Von einigen Ausnahmen abgesehen, schlägt mein Herz für den amerikanischen Spätwestern. Altmans Meisterwerk nimmt dabei einen besonderen Platz ein. 21 Jahre vor Eastwoods "Erbarmungslos" (den ich für überschätzt halte), ging Altman bei seiner Zerstörung der Westernmythen wesentlich subtiler vor. Erwähnenswert auch die grandiose Musik von Leonard Cohen. Wenn man wie ich ein Faible für melancholische Spätwestern hat, kommt man an "McCabe" nicht vorbei.

Und: Silverado, Wyatt Earp, Wild Bill, Ein Fremder ohne Namen, Heavens Gate, Little Big Man, Der Texaner, Chatos Land...

: )

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danke für die mühe, hank! ich werde in den einen oder anderen tipp reinschauen! heute steht erstmal the homesman aufm programm!
ja, dass mister eastwood nicht der subtilste unter der sonne ist hat hat er schon oft bewiesen, am witzigsten wohl bei million dollar baby..

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8
8/10

Können mir die Herren Westernliebhaber erklären, warum man in diesem Genre so gut wie immer nur die richtige Himmelsrichtung zu kennen scheinen muss, um früher oder später auf sein Ziel zu treffen? Auch in diesem Film müssen die Protagonisten nur weit und lang genug nach Westen reiten, als ob es keine Diagonalen gäbe. Dieses immer wieder auftretende Phänomen in Western macht mir langsam Kopfzerbrechen.

Der Film ist schön entschleunigt und erinnerte mich mit seinen surrealen Elementen an True Grit. Die gängigen Westernklischees werden alle über Bord geworfen und durch teils sehr originelle und witzige Ideen ersetzt. Die fast schon beiläufig vollzogenen Grausamkeiten sorgen aber immer wieder dafür, dass man sich ja nicht zu lange amüsiert. Das Finale wiederum ist in seiner Grundidee so bösartig, dass ich trotz seiner emotionalen Wirkung richtig laut lachen müsste. Ein durch und durch gelungener Film, den ich gerne doppelt so lange genossen hätte.

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8
8/10

Habe den Film gestern gesehen.
Die erste Zeit habe ich immer überlegt, ob ich ausschalte, da ich nicht so richtig wußte, was ich davon halten sollte.
Jedoch hat der Film nach kurzer Zeit eine nahezu hypnotisierende Wirkung. Sehr entschleunigt, mit teilweise lakonischem Humor und wunderbaren Bildern zog mich der Film in seinen Bann.
Große Klasse das, aber man muß sich eben darauf einlassen und eben auch Western-Liebhaber im weiteren Sinne sein.

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