Rufmord - Jenseits der Moral

Originaltitel
The Contender
Land
Jahr
2000
Laufzeit
127 min
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 17. Januar 2011

"Das ist Laine Hanson, in der Mitte eines Gang Bang", sagt ein Schnüffler und reicht seiner Kontaktperson


Noch ist alles in Butter: Der Präsident (Jeff
Bridges) stellt seine neue Vize-Präsidentin vor.

im Weißen Haus ein paar sehr explizite Fotos. Das ist reichlich ungünstig, denn Senatorin Laine Hanson (Joan Allen) ist vom Präsidenten soeben zu seinem neuen Vize ernannt worden, nachdem der zweite Mann im Staat während der Amtsperiode verstorben ist, und ein Sexskandal aus alten College-Tagen könnte ihre Absegnung durch den Kongress sehr schwierig gestalten. Besonders, wenn der Vorsitzende des zuständigen Komitees, der Republikaner Shelly Runyon (Gary Oldman), wesentlich lieber seinen alten demokratischen Kumpel Jack Hathaway in diesem Amt sehen würde. Der ist soeben zum Helden aufgestiegen, nachdem er versucht hat, eine junge Frau zu retten, die mit ihrem Auto von einer Brücke gestürzt war, unter der Hathaway gerade angelte (praktischerweise mit einem Journalisten im Boot). Doch die Frau ist gestorben, und die präsidialen Berater sehen das als schlechtes Marketing: Eine Ertrunkene direkt vor seinen Augen, das ist ein dunkler Fleck, den man schwer los wird. Ohnehin ist das nur eine Ausrede, denn Präsident Evans (Jeff Bridges) ist fest entschlossen, erstmals eine Frau zum Vize zu machen. Weil er glaubt, dass es dafür endlich an der Zeit ist, oder weil er sich selbst einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern will?


Bemitleidenswertes Opfer politischen Kalküls?
Hathaway (William Petersen) harrt der Ereignisse.

Es gehört zu den zahlreichen bravourösen Eigenschaften von "Rufmord", nicht nur die Motivation des Präsidenten, sondern die von beinahe allen Kontrahenten in dem hier beschriebenen dreckigen Spiel ambivalent zu halten. Senatorin Hanson verweigert schlichtweg jegliche Stellungnahme zu ihrer sexuellen Vergangenheit, da das niemanden etwas angeht. Doch sind das feste ethische Grundsätze, die aus ihr sprechen, oder der Versuch, etwas zu verschleiern? Selbst der offensichtliche Bösewicht Runyon wirkt zumindest in seinen Motivationen noch verständlich: Er ist sich vollkommen bewusst, dass er dabei ist, eine Karriere und ein Leben zu zerstören, doch das sind zu akzeptierende Opfer, wenn so die eindeutig falsche Person (jedenfalls in seinen Augen) für dieses Amt davon abgehalten werden kann, es anzutreten. Doch ist Dreck schmeißen in dieser Art wirklich legitim? Einer der spannendsten Momente des Films kommt, als Hanson von einem Fleck auf Runyons weißer Weste erfährt, und mit dem Mikrofon des Kongresskomitees vor sich entscheiden muss, ob sie jetzt zurück schlägt oder nicht.

Bis zu einem gewissen Punkt bleibt "Rufmord" eine Geschichte mit zwei Seiten, bei der die Sympathie des Zuschauers zu einem großen Teil von den eigenen politischen Ansichten abhängt. Doch schließlich gehen die Pferde mit Regisseur und Autor Rod Lurie durch, der seine eigenen liberal-demokratischen Ansichten in


Wühlt mit Vergnügen in schmutziger Wäsche:
Shelly Runyon (GaryOldman)

keinster Weise zu verbergen versucht und seinen Film so zu einem eindeutigen Statement für die eine Seite werden lässt. Für das europäische Publikum, in den meisten politischen Dingen ja weitaus freigeistiger eingestellt als die Amerikaner, sicherlich kein Problem, dürfte sich hier ohnehin kaum jemand finden, der die Standpunkte Shelly Runyons vertritt. Dass Lurie eine abtreibungsbefürwortende Atheistin zur Heldin seines Films macht, erklärt allerdings die etwas zwiespältige Aufnahme von "Rufmord" in jenem Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung George W. Bush für einen guten Präsidenten hält.
So sehr man Luries politischen Ansichten auch beipflichten mag, ihre Zurschaustellung ist es, die "Rufmord" letztlich an wahrer Größe vorbeischrammen lässt. Über weite Strecken portraitiert Lurie den Intrigen-Zirkus von Washington D.C. mit erbarmungsloser Desillusioniertheit, zeigt junge aufstrebende Demokraten, die für ein sich bietendes Karrieresprungbrett die eigene Linie aufgeben, und stellt den Präsidenten als rauchenden und fortwährend Sandwiches bestellenden Haudegen vor, dessen Manipulationen zwar vielleicht das richtige Ergebnis bringen, aber beizeiten ähnlich fragwürdig wirken wie die seiner Gegenspieler. Und in der Mitte all dieser Komplotts und Gegenkomplotts steht Laine Hanson als eine Person, die einerseits für ihr Recht auf Privatsphäre kämpft (und damit natürlich nicht unerhebliche Parallelen zu Bill Clinton aufweist), und andererseits für simple Gleichberechtigung. Der


Das Ziel der Anfeindungen: Hanson (Joan Allen)
kämpft vor dem Komittee ums Überleben.

Präsident selbst bringt es auf den Punkt: "Wenn um die sexuelle Vergangenheit der Männer im Weißen Haus immer so ein Wind gemacht worden wäre, hätten wir nie einen New Deal gehabt, und die Russen hätten immer noch Raketen auf Kuba." Leider schießt Lurie bei der Manövrierung Laine Hansons in die Opferrolle übers Ziel hinaus. Wenn der Film schließlich zum Showdown anläuft, hat die Senatorin eine Unfehlbarkeit erreicht, die zwar unsere Illusion vom integren Politiker befriedigt, die eigentliche Kontroverse des Films, nämlich ob Einzelheiten aus dem Privatleben für die Qualifikation für hohe politische Ämter relevant sein sollten, aber effektiv überflüssig macht.
"Rufmord" wartet am Schluss mit zwei überraschenden Wendungen auf, die in ihrer Wirkung dem Film jedoch keinen Gefallen tun: Sie vereinfachen die moralische Stellungnahme, indem sie Großteile der zuvor herrschenden Gewissenskonflikte ganz einfach aus der Gleichung nehmen, und machen die Auflösung damit nicht nur viel zu leicht, sondern auch weit weniger aussagekräftig. Das ist umso bedauerlicher, als dass Lurie schon früh in seinem Film klargestellt hat, welche Position er zum bestehenden Dilemma vertritt, sich dann schlussendlich aber doch nicht traut, diese Position in all ihrer Konsequenz durchzuziehen.
Das mag nicht sonderlich verständlich klingen, solange man den Film noch nicht gesehen hat. Macht aber nichts, denn sehen sollte man ihn auf jeden Fall. Trotz seiner letztlich zu einfachen Auflösung ist "Rufmord" mit Sicherheit einer der intelligentesten Filme, die in den letzten Jahren aus den USA gekommen sind, und bietet genug Diskussionsansätze, um sich selbst über die eigenen ethischen Standpunkte klar zu werden. Und nicht zuletzt beweist er eindrucksvoll, dass ein Polit-Thriller auch ohne Mord- und Todschlag höllisch spannend sein kann.


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