Wie verhalten sich Menschen in Zeiten des Umbruchs? Als beispielsweise Alexander der Große im Jahr 330 vor Christus die Hauptstadt der Perser, Persepolis, umlagert, begehen viele Bürger und Einwohner der Stadt Selbstmord oder fliehen in die Wüstenlandschaft des Umlands (was gleichbedeutend mit dem Tod war). Eine neue Ära wurde eingeleitet. Ein Umsturz. Schon in der Antike wurde der Grundstein für die turbulente und wechselreiche Geschichte dieser Region gelegt. Knapp 2000 Jahre später spielt der Film "Persepolis" und wieder gibt es einen Umbruch.
Marij (Stimme: Chiara Mastroianni) lebt im Iran und ist noch keine 10 Jahre alt, als der Schah von Persien in blutigen Aufständen vom Thron gestoßen wird. Als Kind von sehr liberalen und bürgerlichen Eltern freut sich die kleine Marij über den vermeidlichen Sieg und den Anbruch einer neuen Zeit. Doch diese Euphorie wird im Keim erstickt, als nicht wie erhofft demokratische Strukturen im Iran greifen, sondern die fundamentalen Islamisten in der Form der Mullahs die Macht an sich reißen.
Marjane Satrapis Film, der auf ihrem international gefeierten Comic beruht, spielt zur Zeit der Revolution im Iran. Sie hat damit ihre eigenen Lebenserfahrungen zusammengetragen und dabei in ihrer neuen Heimat Frankreich ein subversives und unfassbar komisches Buch geschaffen, das im Iran für viel Empörung gesorgt hat. Bei so viel internationalem Erfolg war die Verfilmung ihrer Erinnerungen nur eine Frage der Zeit. "Persepolis" feierte auf den Filmfestspielen in Cannes seine Premiere und gewann dort auch sehr überraschend den großen Preis der Jury.
Dabei erstaunt vor allem der ästhetische Aspekt des Films. Fast vollständig in Schwarz-Weiß gedreht, ist dem Regieduo Satrapi und Paronnaud ein Animationsfilm der ganz alten Schule gelungen. Dabei orientierten sich die Macher stark am expressionistischen Stil der Scherenschnitttechnik, die in der europäischen Filmgeschichte vor allem mit dem Namen Lotte Reiniger verbunden ist. Die deutsche Filmemacherin schuf 1926 mit dem Film "Die Abenteuer des Prinzen Achmed" einen zeitlosen Klassiker und etablierte den Scherenschnittfilm als die prägende Animationsrichtung dieser Zeit.
Doch man kann einen Film nicht nur von seiner ästhetischen Seite her beschreiben, und der Inhalt ist bei "Persepolis" leider nicht immer so stark und überzeugend, wie es sich im ersten Moment anhört. Es ist den Machern leider nicht immer gelungen, den subversiven Moment der Comics auf die Leinwand zu übertragen. So verharrt der Film zu oft auf einer rein persönlichen Ebene. Episoden wie Marijs Strapazen bei ihrem Auslandsaufenthalt in Österreich sind zwar ohne weiteres komisch, doch wird der springende Punkt - nämlich die politische Brisanz ihrer Schilderungen - aus den Augen verloren. Später kippt der Film in eine Liebeserklärung an Marijs Großmutter, die zwar durch ihren sehr offensiven Charakter beeindruckt, doch nicht das zentrale Thema des Films darstellt.
Andere einprägsame und sehr berührende Szenen fallen da leider viel zu rar aus. Marji als Studentin feiert mit Freunden eine Party in einem Haus. Mädchen und Jungs in einem Zimmer. Die Studentinnen tragen natürlich keine Kopftücher. Es dauert nicht lange und eine Gruppe von Polizisten stürmt die Party. Ein solch anrüchiges Verhalten können die Milizen nicht dulden. Die Studenten fliehen aufs Dach. Einer springt. Seine Silhouette fällt wie ein schwarzes Blatt in den Abgrund. Er wird sterben. Kein großes Aufsehen. Alltag in der Diktatur.
Hier merkt man immer wieder sehr deutlich, was für ein unfassbares Potenzial in der Art und Weise steckt, mit der Satrapi ein sehr dunkles Kapitel ihres Landes schildert. Dabei schwingt auch in den letzten Einstellungen immer wieder die Frage mit, wie hoch das Opfer ist, das man als Auswanderer bringen muss. Nicht nur deswegen hat sich der Iran vehement gegen die Aufführung von "Persepolis" in Cannes gewährt. Trotz einiger Schwächen bleibt die Absicht des Films unbestreitbar richtig und wichtig. Da Hollywood schon angekündigt hat, den Comic ebenfalls verfilmen zu wollen (diesmal jedoch soll es sich um eine Realverfilmung handeln), wird die Botschaft noch weiter getragen werden, bis es eines Tages möglicherweise wieder zu einem Umbruch im Iran kommt. Vielleicht wird es dieses Mal ein demokratischer sein. Marjane Satrapi würde das ganz besonders freuen.
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