Manchmal erschafft der Soundtrack eines Films eine ganz besondere Stimmung, die den Film und seine Erzählung wunderbar zusammenfasst. In Gus van Sants neuem Film "Paranoid Park" ist dies auch der Fall. Es gibt Momente, die der Regisseur bewusst mit den verhaltenen, leisen und melancholischen Klängen des tragisch ums Leben gekommenen Singer-Songwriters Elliott Smith unterlegt. Auf diese Weise greift van Sant das Grundmotiv seines Films wieder auf und vermittelt einen wirklich eindrucksvollen Einblick in den Moment des Erwachenswerdens. Und so ist "Paranoid Park" auch eine Coming of Age-Geschichte geworden.
Irgendwo in Portland steht der Paranoid Park. Der einzig wahre Treffpunkt für alle, die meinen das Skateboard perfekt zu beherrschen. Auch Alex (Gabe Nevins) träumt von der Freiheit, die man angeblich in diesem ganz besonderen Skaterparadies erleben kann. Doch als er sich eines Tages mit seinem besten Kumpel Jared (Jake Miller) auf den Weg dorthin macht, fragt er verunsichert: "Bin ich überhaupt bereit für den Paranoid Park?" Daraufhin antwortet Jared: "Niemand ist jemals bereit für den Paranoid Park." Es soll das unumstößliche Credo des ganzen Films werden. Alex wird großen Mist bauen. Er möchte mit einem älteren Jugendlichen auf einen Güterzug in der Nähe des Skaterparks springen. Dabei passiert das denkbar Schlimmste. Sogar die Polizei wird bald in Alex' Umwelt eindringen und ermitteln.
Wie schon in seinem preisgekrönten Film "Elephant"
und dem Nachfolger "Last Days" ist ein Schritt für
Schritt enthüllter und nach gängigen Erzählmustern
geformter Plot nicht van Sants Sache. Vielmehr würfelt er Anfang
und Ende der Geschichte wild durcheinander. Narrativ nähert
er sich in immer kleiner werdenden Schleifen jenem fürchterlichen
Ereignis an. Dabei ist er nie linear oder geradeaus. Er folgt, wie
durch ein unsichtbares Seil verbunden, seinen Charakteren durch
den Alltag. Es gibt Szenen, die sich wiederholen, und Einstellungen
werden sehr frei und assoziativ aneinandergereiht.
Es ist dieselbe Arbeitsweise wie bei seinen letzten beiden Filmen.
In "Elephant" verfolgte
er die Ereignisse rund um ein Schulmassaker ähnlich dem an
der Columbine Highschool. Im darauf folgenden "Last
Days" verknüpfte der Regisseur eine wunderbar meditative
Atmosphäre mit der Schilderung der letzten Tage im Leben eines
jungen Rockstars. Mit "Paranoid Park" beendet Gus van
Sant nun seine Adoleszenz-Trilogie. Alle drei Filme beobachten und
erforschen die Abgründe an den Umbruchkanten des Erwachsenwerdens.
Dabei gelingt es van Sant besonders gut, ein unsagbar ergreifendes
Gefühl der Verlorenheit und der Unangepasstheit zu erschaffen.
Die
Jugend von heute, so wie sie seine Filme zeigen, ist nicht bereit
für den nächsten Schritt ins Erwachsenenleben. Wie hieß
es doch gleich im Film: "Niemand ist bereit für den Paranoid
Park."
Besonders gut eignet sich daher auch die Subkultur der Skater, die
im Fokus von "Paranoid Park" steht. Aus der Surferbewegung
der 60er Jahre entstanden, steht die Skaterkultur wie vielleicht
keine andere Jugend-Subkultur für einen individualisierten
Lebensausdruck. Gus van Sant, der das Drehbuch nach der gleichnamigen
Erzählung von Blake Nelson entwarf, verzichtete auf ausgebildete
Schauspieler und castete seine Darsteller per Myspace-Inserat. Schließlich
wurden nahezu alle Hauptrollen mit Laien aus dem US-amerikanischen
Skatermilieu besetzt. Das Ergebnis ist eine hypnotische Natürlichkeit
und ein ständiges Gefühl der Authentizität, welches
das Handeln der Protagonisten umhüllt und begleitet.
Alex schreibt alles auf. Auch den großen Fehler den er begangen
hat. Doch in seine Schilderungen schleicht sich immer wieder auch
eine verzweifelte Sinnsuche ein. Seine Freundin Jennifer (Taylor
Momsen) ist zwar seine Freundin, aber die große Liebe ist
es nun wirklich nicht. Zunächst will sie keinen Sex, doch als
es dann soweit ist, müssen wir mit ansehen, wie van Sant das
vermeintlich magische und besondere erste Mal auf äußerst
direkte Weise entzaubert. Deshalb liegt Alex danach auf dem Bett
und guckt desillusioniert
ins Leere. "Das war's also? Mehr nicht?", scheint er zu
denken. Jennifer ist derweil schon ins Bad gerannt, um alles aufgeregt
ihrer Freundin per Handy zu erzählen. Erwachsene kommen in
dieser Geschichte so gut wie gar nicht vor. Sie sind Schattenwesen
in einer turbulenten pubertären Welt. "Paranoid Park"
erarbeitet sich auf wunderbare Weise den Moment an dem die Jugend
aufhört und ein neues Leben langsam beginnt.
Es ist eine Welt des Umbruchs, und dazu gehören ganz besondere
Bilder, die dies einfangen. Für "Paranoid Park" engagierte
Gus van Sant den Kameramann Christopher Doyle, vor allem bekannt
für die Traumwelten eines Wong Kar Wai, die er mit seinen Bildern
zum Leben erweckte. Er schenkt uns hier Bilder voller Grazie und
Schönheit, lässt die Skater fliegen und pulsierend über
die Hochs und Tiefs des Skateparks gleiten. Es gibt keine Grenzen,
die sie nicht durchbrechen könnten. Doyle drehte Teile des
Treibens im Super 8-Format, eine klare Reminiszenz an die frühen
Skaterfilmer, die ihre Stunts immer auf Super 8 festhielten. Es
sind Bilder der Vergangenheit und einer trüben Erinnerung an
eine bessere und sorglosere Zeit.
Und so erschafft "Paranoid Park" durch seine eleganten
Bildkompositionen, einen unwiderstehlich ehrlichen Grundton der
Melancholie und ein durchgehendes Gefühl von emotionaler Verunsicherung.
Man wird vielleicht lange suchen müssen, um wieder einen Film
zu finden, der die Zeit des jugendlichen Umbruchs so perfekt in
stimmungsvoll aufgeladene Bilder packt.
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