One Hour Photo

Originaltitel
One Hour Photo
Land
Jahr
2002
Laufzeit
95 min
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Jan Kucharzewski / 2. Juni 2010

Seymour Parrish ist besessen von Fotos. Als Angestellter eines One-Hour-Studios in einer großen Supermarktkette entwickelt er die Schnappschüsse seiner Kunden mit einer solchen Sorgfalt und Hingabe, als würden die verwackelten Bilder von Kindergeburtstagen und Weihnachtsfeiern einen unglaublichen Wert besitzen. Tatsächlich sind die Fotos für den vollkommen vereinsamten Sy die einzige Möglichkeit, wenigstens indirekt an zwischenmenschlichen Beziehungen teilzuhaben. Er studiert die Momentaufnahmen glücklicher Kinder und scheinbar intakter Familien, um sich aus diesen Fragmenten seine eigene Traumwelt zu konstruieren und somit seiner trostlosen Existenz zu entkommen. Besonders die, in unzähligen Aufnahmen dokumentierte, heile Welt seiner Stammkundin Nina Yorkin, die mit ihrem Sohn und ihrem Mann in vermeintlicher Harmonie lebt, hat es Sy angetan. Die Wand seines Wohnzimmers ist mit kopierten Schnappschüssen der Yorkins tapeziert und er fährt regelmäßig an ihrem Haus vorbei, um sich vorzustellen, wie er als "Onkel Sy" an ihrem Alltag teilnimmt. Als Sy aber durch einen Zufall entdeckt, dass Will Yorkin seine Ehefrau betrügt, brechen die sorgfältig kultivierten Illusionen vom Familienidyll in sich zusammen. Aus Angst davor, selbst diesen letzten Halt zu verlieren, will Sy die zerrüttete Familie wieder zusammenführen. Zur Not auch mit Gewalt.
"One Hour Photo" ist nun schon der zweite Film innerhalb eines Jahres in dem Robin Williams, der einstige Vorzeige-Sympathieträger Hollywoods, den Bösen gibt. Wie schon als Gegenspieler von Al Pacino in Christopher Nolans "Insomnia" gelingt es Williams auch in diesem Film, einen abgründigen Charakter darzustellen, ohne dabei sein bewährtes Spiel großartig zu verändern. Und genau darin liegt der besondere Reiz von "One Hour Photo", denn Williams beinahe schon vertraut wirkende Gesichtsausdrücke bekommen in der Rolle des Sys eine neue, bedrohliche Dimension. Einerseits sieht man in ihm den sanftmütigen Einzelgänger, dessen Isolation und Sehnsucht nach Geborgenheit in langen, nahezu meditativen Einstellungen thematisiert wird, anderseits wird einem im Laufe des Films bewusst, dass unter dieser Oberfläche eine nicht greifbare Gefahr lauert. Die Figurenzeichnung in "One Hour Photo" wird noch dadurch kompliziert, dass es innerhalb der Figur keine eindeutige Abgrenzung von Gut und Böse gibt, denn ist Sy keine gespaltene Persönlichkeit, deren zwei Gesichter jeweils eines der beiden Extreme verkörpern, sondern eine durchweg ambivalenter Charakter. Wenn er lächelt, dann spricht aus der Mimik eine tiefe Einsamkeit und Melancholie, gleichzeitig ist es das Gesicht eines Mannes, dem man alles zutraut, dessen Verhalten nicht wirklich vorhersagbar ist. Williams verkörpert diesen Dualismus so hervorragend und mit einer so minimalen Variation seiner Gesten, dass der Zuschauer in jeder neuen Szene seine Bewertung des Charakters überdenken muss.
"One Hour Photo" setzt diesen Zustand visuell sehr gut um, indem er den blassen, blondierten Williams immer in weißen, kahlen Räumen und unter gleißendem Neonlicht platziert, so dass dieser zu einer perfekten Projektionsfläche für unsere Interpretationsversuche wird und sich zudem wie ein Geist durch die Szenen bewegt. Sy ist eine Figur ohne Kontextgeschichte, eine Nichtidentität, die sich eine Scheinexistenz mit gestohlenen Familienschnappschüsse aufgebaut hat. Als er aber realisiert, dass die Fotos tatsächlich nur fadenscheinige Abbildungen einer Familie sind, die mit ganz realen Problemen zu kämpfen hat und keineswegs in ewiger Harmonie lebt, wird seine Illusion als eben solche bloßgestellt. Letztendlich sind seine Handlungen nur der verzweifelte Versuch eines Menschen, "seine" Familie zu beschützen. Erst in den allerletzten Minuten des Films gewinnen wir einen kurzen, sehr vagen Blick in Sys Vergangenheit, der dann allerdings ein ganz neues Licht auf die Figur wirft. Obwohl dieser Moment der Offenbarung kein klassischer Twist ist, hinterlässt er einen sehr starken Eindruck, da es bis dahin keine Erklärungsversuche für Sys schleichenden Wahnsinn gab. Eben dieses Fehlen eines nachvollziehbaren Motivs haben viele amerikanische Kritiker dem Film ungerechter Weise zum Vorwurf gemacht, da es den ohnehin schon sehr schwierigen Charakter noch unzugänglicher macht.

Die Tatsache, dass Sy auf eine gewisse Art und Weise sowohl der Prota- als auch der Antagonist des Streifens ist, führt unweigerlich dazu, dass die anderen Charaktere neben ihm zu bloßen erzählerischen Mechanismen verkommen. Obwohl der Film sich bemüht, der Yorkin Familie Tiefe zu verleihen und ihre Figuren als Gegenpol zu Sy zu etablieren, kehren die Kamera und die Geschichte doch immer wieder zu Williams zurück.
Im Grunde genommen ist "One Hour Photo" eine One Man Show und zudem mehr das Portrait einer absoluten Vereinsamung als ein reißerischer Thriller. Die Spannung des Films entsteht neben der durchaus souveränen Inszenierung hauptsächlich aus Williams' intensivem Spiel, welches allein schon den Preis für die Eintrittskarte rechtfertigt.

Bilder: Copyright

10
10/10

Ein ausgesprochen kluger Film: sehr vielschichtig, mit einigen Zitaten von Roland Barthes und Susan Sonntag, psychologisch tiefsinnig und handwerklich auf höchstem Niveau. Einer der wenigen Filme, die mehrmals zu sehen sehr lohnenswert ist, da sich einem immer mehr Details und Zusammenhänge offenbaren. Der Film ist eigentlich ruhig, steril und ziemlich unaufgeregt. Doch ständig ist eine latente Unheimlichkeit zu spüren, die den Film stets spannend bleiben lässt. Sy ist ein viel zu komplexer Charakter, als dass die bisherigen Darstellungen von ihm wirklich als zutreffend bezeichnet werden könnten. Alle, die glauben, ihn erklären zu können, sollten sich One Hour Photo noch ein paar mal ansehen, denn es scheint mir, als ob einfach gängige Deutungsmuster auf ihn angewendet würden, ohne dass man sich eingehend mit ihm beschäftigt hätte.
Also: den Film anzuschauen lohnt sich ebenso sehr, wie das Nachdenken über ihn!
Viel Spass...

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10
10/10

Ein spannender, zum Nachdenken anregender Film mit einer super Besetzung. Williams hat die Rolle des einsamen Mannes, der sich nichts sehnlicher Wünscht als so geliebt zu werden, dass jemand ein Foto mit ihm an seinem Kühlschrank hängen hat, brilliant umgesetzt.

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9
9/10

Unglaublich emotionaler und tiefsinniger Film. Die Themen dürften jeden ansprechen, denn sie beziehen sich auf das Leben, wie es wirklich ist.
Philippcde hat mein Beileid, da er einen so guten Film leider nicht versteht. Er bezeichnet sich schließlich bereits selbst als "deppigen Nerd". Die User Ich und Filmkenner (!) bewerten den Film mit rüder Sprache, ohne auch nur eine ihrer Aussagen zu begründen. Euch dreien empfehle ich die Serie "Teletubbies". Sie wird euren Dimensionen genügen ;)

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10
10/10

Dieser Film ist schlichtweg ein Meisterwerk.
Er hätte mit zahlreichen Oscars belohnt werden müssen.
Einige Kommentare hier zu dem film sind echt abstrus, die müssen von Leuten stammen, die sich nur Filme angucken, wo man was auf die Omme bekommt. Wer nur Cola gewöhnt ist, kann ja wohl nicht auf einmal
einen guten Wein trinken, oder?

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10
10/10

Grandios. Allein Williams trägt den Film und hätte ein Oskar verdient! Leid tun einem nur die (judendlichen?) Schlauberger, die den Film entweder nicht verstehen, oder durch das seit 20 Jahren übliche "krachbumm" der Blockbuster dumpf geworden sind. Beachtenswert auch die phantasievollen Emialadressen (meine ist übrigens ebenso existent wie echt..). Axel

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