One False Move

Originaltitel
One false move
Land
Jahr
1991
Laufzeit
105 min
Genre
Bewertung
von Frank-Michael Helmke / 14. November 2010

Die Neunziger sind das Jahrzehnt des Independent Films. Jedes Jahr schaffen es zwei bis drei von den ganz Kleinen, bei den ganz Großen mitzuspielen. Und wer das geschafft hat, der zählt dann selbst zu den ganz Großen. Es ist schon fast eine Tradition, daß pro Jahr hoffnungsvolle junge Filmemacher zum plötzlichen Aufstieg gelangen. Einer der ersten „Aufsteiger“ dieser Art war allerdings alles andere als jung.
Man kann gegen MTV sagen was man will, aber im Gegensatz zu anderen Medienanstalten ist dieser Sender (zumindest in den USA) nicht nur in der Lage, Stars zu machen, sondern auch Talente zu erkennen, bevor sie die Öffentlichkeit wahrnimmt. Dies führte bei den MTV Movie Awards 1992 zur Einführung einer neuen Kategorie, der Auszeichnung für den „Best New Filmmaker“. Der erste Preisträger hieß Carl Franklin, der zu diesem Zeitpunkt bereits 43 Jahre alt war und seine fünfte Regiearbeit abgeliefert hatte. Aber es war die erste, die größeres Interesse fand. Der Name des Films war „One false move“.

Der Film beginnt wie viele andere Filme über eine Gruppe Krimineller. Wir beobachten ein skrupelloses Trio, zwei Kerle und ein Mädchen, bei der Ermordung einiger „Freunde“, die sie um ordentlich Geld und noch mehr Drogen erleichtern. Das Mädchen kriegt dann doch ein weiches Herz und verschont ein kleines Kind, das allerdings kurz nach ihrer Flucht dafür sorgt, daß sie sich in den Nachrichten wiederfinden. Der ursprüngliche Plan, den in L.A. erbeuteten Stoff in Houston zu verjubeln, wird erst einmal abgeändert. Man fährt in Richtung der Heimatstadt, des Mädchens, wo man sich bei Verwandten verstecken will. Die Polizei kriegt spitz, in welche Richtung das Trio unterwegs ist, und so machen sich zwei Großstadt-Cops auf in dieses Kaff in Arkansas und harren mit dem enthusiastischen Sheriff des Ortes auf die Dinge, die da kommen mögen.
Spätestens an dieser Stelle entwickelt „One false move“ eine Qualität, die so ziemlich jedem anderen Film ählichen Strickmusters fehlt. Denn hier ist nicht das Handeln der Personen das entscheidende, sondern die Personen selbst. Die beiden Dreiergruppen sind hochinteressant zusammengesetzt: Da haben wir die Gangster: Das ängstliche Mädchen Fantasia, ihren jähzornigen Freund Ray Malcolm, und den gefährlich entspannten Pluto. Das ist einer dieser Charaktere, die immer vollkommen ruhig und konzentriert auf dem Rücksitz hocken, die Situation objektiv analysieren, stets wissen was zu tun ist, und von denen man insgeheim weiß, daß sie in jeder Sekunde zu einer grausamen und eiskalten Gewalttat fähig sind. Und auf der anderen Seite warten die Gesetzeshüter: Der Sheriff Dale „Hurrican“ Dixon kennt seine Stadt aus dem Effeff, mußte in sechs Jahren nie seine Waffe benutzen und ist mit Feuereifer dabei, als die Jungs aus der Großstadt auftauchen, denn er glaubt, wenn er sich hier gut schlägt, dann kann er vielleicht auch mal bei den „großen Jungs“ mitmischen. Die beiden „großen Jungs“ können dazu nur milde lächeln, denn für sie ist Dixon nicht mehr als ein dummes Landei. Was sie übersehen: Sie mögen vielleicht wissen, wie die großen Dinge laufen. Aber ohne Dixon’s Wissen über die Stadt und die Einwohner sind sie total aufgeschmissen.
Beide Gruppen sind höllisch interessant zu beobachten, die Charaktere sind unglaublich plastisch und die Konflikte in beiden Szenarien sehr lebendig. Und dennoch weiß man die ganze Zeit: Das dicke Ende kommt noch. Denn die Gangster kommen immer näher. Und währenddessen kristallisiert sich ganz langsam heraus, daß es da noch ein kleines Geheimnis gibt, durch das eine Verbindung zwischen den beiden Gruppen entsteht. Ein Geheimnis, daß die Auflösung dieser Geschichte eine ganze Ecke komplizierter macht ...

Das Drehbuch zu „One false move“ stammt zum größten Teil von Billy Bob Thornton. Dieser wurde vor drei Jahren für sein Skript „Sling Blade“ mit dem Oscar ausgezeichnet und ist seitdem auf dem aufsteigenden Ast, wenn auch mehr als Schauspieler („Mit aller Macht“, „Ein einfacher Plan“, „Armageddon“) denn als Autor. In diesem Film kann man sowohl sehen, daß Thornton ein exellenter Schauspieler ist, als auch was für ein genialer Schreiber in ihm steckt. Und aus diesem genialen Skript weiß Regisseur Franklin einen noch besseren Film zu machen. Er kam mehr oder weniger aus dem nichts. Franklin war an gut einem Dutzend absolut irrelevanter „Exploitation movies“ („schwarze“ Filme über Gangster, Drogen und Zuhälter) beteiligt, auch als Darsteller, bevor er zum American Film Institute ging und anschließend „One false move“ ablieferte. Und mit 43 Jahren gelang ihm dann der große Durchbruch. Anschließend wurde es allerdings wieder drei Jahre still um ihn, bevor er mit Denzel Washington „Teufel in Blau“ drehte, eher ein Flop. So bleibt „One false move“ bisher der einzige Geniestreich dieses unbestreitbar großartigen Regisseurs.
Auch wenn der Film wie ein typischer Gewalt-Krimi beginnt, entwickelt er sich zu einer ungemein subtilen Charakterstudie. Das Interesse an den Personen wächst rasend schnell, und so wünscht man sich zeitweise, die Ganoven würden etwas langsamer fahren, damit noch mehr von ihnen zu sehen ist. Aber ihre Ankunft in dem kleinen Nest rückt immer näher. Und als sie endlich ankommen, ist das erwähnte Geheimnis für den Zuschauer bereits gelüftet, und so erhält das große Finale eine emotionale Dimension, die in diesem Genre nicht nur selten, sondern im Prinzip einmalig ist.

„One false move“ empfiehlt sich zum einen, weil hier in allen Belangen (Skript, Regie, Darsteller) ganz außergewöhnliche Arbeit geleistet wurde, zum anderen, weil sich dem Zuschauer eine ganz neue Herangehensweise an ein althergebrachtes Handlungsschema eröffnet. Wer ein nicht ganz alltägliches Filmvergnügen sucht und ein Ende erleben möchte, daß nicht nur überraschend, sondern auch moralisch enorm komplex ist, der kann mit diesem Film nichts falsch machen.


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