Offside

Originaltitel
Offside
Land
Jahr
2006
Laufzeit
88 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Patrick Wellinski / 1. Juni 2010

 

Schon bald wird sich herausstellen, dass sie nicht allein ist. Das Mädchen (Sima Mobarak Shahi), das sich als Junge verkleidet hat und im Bus zum Fußball-Länderspiel Iran gegen Bahrain sitzt, sie ist nicht allein. Frauen dürfen im Iran nicht ins Fußballstadion. Das ist zwar gesetzlich verboten, bedeutet aber nicht, dass es nicht doch immer wieder Frauen gibt, die sich durch ihre geschickte Tarnung in diese erzwungene Männerdomäne stehlen. Genau das Schicksal dieser Frauen ist Hauptgegenstand in Jafar Panahis neorealistischer Komödie "Offside".

Als sich das Mädchen später ins Stadion schleichen will, wird sie dann doch von den Kontrolleuren abgefangen. Jetzt nützt alles Flehen auch nichts mehr. Sie wird in Gewahrsam genommen. In ein improvisiertes Gefängnis. Dort trifft sie weitere Mädchen, die auf dem Weg ins Stadion oder schon im Stadion gefasst wurden. Aus dem anfänglichen Streit mit den Wachen wird schon bald eine emsige Diskussion über Sinn und Unsinn der staatlichen Unterdrückung von Frauen. Dabei wird schnell ersichtlich, dass es keine plausible Erklärung für diese Behandlung gibt.

Als im Juni 2005 das WM-Qualifikationsspiel in Teheran stattfand, begann auch Panahi gleichzeitig mit seinen Dreharbeiten auf dem Stadiongelände. Wer die früheren Filme des iranischen Regisseurs kennt, der wird wissen, dass er oft als Anwalt der Unterdrückten und ungerecht Behandelten auftritt. Das hat er schon mit seinem internationalen Durchbruch "Der Kreis", mit dem er 2000 den Goldenen Löwen von Venedig gewann, bewiesen. Der Iraner wurde vom Geheimtipp auf Festivals zur festen Größe des Autorenkinos. Auch sein fünfter Spielfilm widmet sich einem Iran-kritischen Thema, nämlich der Gleichberechtigung. Zum ersten Mal aber wählt der Regisseur das Genre der Komödie, um seine Geschichte zu erzählen.
Meisterhaft lässt er die verschiedenen Parteien aufeinander treffen und offenbart einen wunderbar schwarzen Humor. So erfahren wir, dass Frauen im Iran durchaus Fußball spielen dürfen, aber halt nur gegen Frauen und natürlich auch nur in Anwesenheit von Frauen. Hat eine Mannschaft einen männlichen Trainer, so muss der von außerhalb Kommandos per Walkie-Talkie geben. Es wird schnell deutlich, dass die Entscheidung, Frauen aus den Stadien zu verbannen, nicht von Irans Männern getroffen worden ist, sondern nur von dem herrschenden Ayatollah-Regime. Wenn die äußerst selbstbewussten Frauen später im Film die Soldaten überzeugen, wenigstens das Spiel für sie zu kommentieren, dann entstehen sensationell witzige Momente, die beweisen, dass Fußballwissen schon lange nicht mehr reine Männersache sein muss.
Was bleibt ist der Druck von "oben", dem sich beide Parteien unterordnen müssen. Die Soldaten können die Frauen nicht gehen lassen, auch wenn sie das vielleicht mit der Zeit sogar wollen. Sie sind an ihren Job, der zugleich ihre Überlebensexistenz sichert, gebunden und würden ihn nie aufs Spiel setzen. Ein verständliches Dilemma, welches sich äußerst bitter über die fast schon skurrile Szenerie legt. Die ist übrigens komplett mit puritanischen Mitteln inszeniert: Handkamera, Laiendarsteller und improvisierte Dialoge geben hier aber den nötigen Charme wieder, um sich in die verlorenen Lage der iranischen Bevölkerung versetzen zu können.

Mutig, offen und direkt, dass sind Panahis Filme bisher immer gewesen. Seine Werke entstehen aus einer gewissen Sehnsucht heraus, das wahrheitsgetreue Bild der iranischen Gesellschaft in die Welt hinauszutragen. Er möchte zeigen, dass es nicht die einfache Bevölkerung seines Landes ist, die das negative Image Irans repräsentiert, sondern nur die regierende Spitze. Deshalb war es durchaus kein Zufall, dass er sich den Fußball als Rahmenhandlung für seinen neuen Film heraussuchte. "Im Iran, wie in vielen anderen Ländern, ist der Fußball sehr wichtig. Wie Sie sich vorstellen können, sind die Unterhaltungsmöglichkeiten hier ziemlich begrenzt. So ist der Fußball beides: Sport und Entertainment", sagt der Regisseur.
Ihm ist durchaus bewusst, dass es nicht damit getan ist nur das westliche Kinopublikum auf die Lage seines Landes aufmerksam zu machen. Seine Filme sollen auch seine Landsleute zu sehen bekommen. Doch das ist ihm bisher noch nicht gelungen: "Wenn ein Film für das Teheran Film Festival ausgewählt wird, ist es leichter, im Iran einen Verleih zu finden. Jedes Jahr fülle ich alle erforderlichen Anmeldeformulare für das Festival aus, aber bis heute ist noch keiner meiner Filme im Iran ins Kino gebracht worden", lamentiert Jafar Panahi im Presseheft.
Vielleicht gelingt ihm das ja mit "Offside", der übrigens mit dem Silbernen Bären auf der diesjährigen Berlinale ausgezeichnet worden ist. Zu wünschen wäre es ihm durchaus. Die Relevanz des Themas gibt ihm jedenfalls, so scheint es, gute Chancen. Dieses Jahr hob Präsident Ahmadinedschad das Stadionverbot für Frauen auf. Nur zwei Tage später erheben sich die Großayatollahs und Ahmadinedschad führte das Verbot wieder ein. Als am 31.05.2006 das WM-Vorbereitungsspiel Iran gegen Bosnien stattfand und das Teheraner Stadion halb leer blieb, fasste das Sportkommentator Wolf-Dieter Poschmann das folgendermaßen und sehr zynisch zusammen: "Hätten sie mal Frauen rein gelassen".

Diesem traurigen politischen Zusammenspiel können wir in Deutschland nur die rote Karte zeigen, und uns dann im Programmkino unserer Wahl "Offside" ansehen, um auf herausragende Art und Weise mitzuerleben, dass der Fußball nicht nur geschlechter- sondern auch völkerverständigend wirkt.

Bilder: Copyright

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