Night Moves

Originaltitel
Night Moves
Land
Jahr
2013
Laufzeit
112 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Simon Staake / 21. Juni 2014

drei aktivistenAh, „Night Moves“, da klingelt doch was? In den 70er Jahren hießen Dinge „Night Moves“. Etwa Arthur Penns unterbewerteter Detektivfilm mit Gene Hackman (in Deutschland unter dem absurden Titel „Die heiße Spur” gelaufen) aus dem Jahre 1975. Oder aber die gleichnamige sentimentale Ballade des schon damals Frühvergreisten Bob Seger ein Jahr später. Eben dieser für alle Babyboomer fast zur Hymne gewordene Song gibt auch Kelly Reichardts Kinofilm indirekt seinen Namen, denn der Babyboomer im Seniorenalter, der einem jungen Paar sein gleichnamiges Motorboot verkauft, hat es vermutlich nach Segers Song benannt. Was er allerdings nicht weiß: Das junge Ehepaar ist kein Paar und sie wollen auch keine Ausflüge auf diesem Boot unternehmen. Denn Josh (Jesse Eisenberg) und Dena (Dakota Fanning) sind junge radikale Umweltschützer in Oregon und zusammen mit Harmon (Peter Sarsgaard) planen sie ein Attentat. Eben jenes Boot soll einen Staudamm in die Luft jagen. Minutiös bereiten die drei Aktivisten ihre Tat vor, aber die möglichen Konsequenzen ihres Tuns haben sie nicht komplett durchdacht. Und als sie sich diesen Konsequenzen stellen müssen wird die Einigkeit des Trios auf eine harte Probe gestellt...

Dieser Film ist nominell – man sieht es etwas weiter oben – ein Thriller. Und das heißt per Definition, dass den Zuschauer hier Thrills, also Spannungs- oder aufregende Momente erwarten. Und das tun sie auch, allerdings vielleicht anders als vom Zuschauer gedacht. Denn dies ist auch – wie ebenfalls oben gesehen – ein Kelly Reichardt-Film. Und wer einmal einen Kelly-Reichardt-Film gesehen hat (empfohlen sei hier „Wendy & Lucy”), der weiß, dass es ihr nie besonders um Plot oder konventionelle Spannungsbögen geht, sondern immer um extreme Beobachtungsgabe, einen strengen Realismus und ein natürlich dahinfließendes – will sagen: langsames – Tempo. 

deenaAll diese Dinge sind auch in „Night Moves” intakt, wenngleich dieser Film rein von Geschichte und Aufbau her der wohl konventionellste ihrer Filme ist. Aber das Tempo bleibt sehr gemächlich, die Kamera verharrt nicht immer auf den Dingen, die man erwartet, und solche Thrillerstandards wie die Verfolgungsjagd werden entweder gänzlich übersprungen oder aber in ein gemäßigteres Idiom umgewandelt. Von daher: Wer hier einen aufregenden Kinoabend erwartet, der muss vielleicht einen anderen Film auswählen. Wer allerdings Thriller im Sinne von Spannung versteht, der ist hier durchaus an der richtigen Adresse, denn auch wenn Reichardt die Spannungsschraube extrem langsam anzieht, sie wird angezogen und zunehmend enger. Und wenn dann so der Druck auf unsere jungen Umweltschützer zunimmt und die Nerven immer angespannter werden, dann erlebt dies auch der Zuschauer so und verkrampft sich trotz des gemächlichen Tempos immer mehr, weil er ahnt, dass sich die langsam aufbauende Spannung und Paranoia irgendwann entladen muss und wird. „Night Moves” ist, wie der Amerikaner sagen würde, a slow burn: die Lunte brennt langsam, aber sie brennt. Bis es dann bumm macht, so wie das titelgebende Boot.

Nun wäre dieser ungewöhnliche, reduzierte Ansatz kaum denkbar, wenn man nicht das richtige Personal dafür hat. Besonders weil Reichardt sich treu bleibt und mit der Kamera immer ganz nah bei ihren Protagonisten bleibt. Da müssen die zentralen Schauspieler – und über weite Strecken ist dies ein Dreipersonenfilm – dann auch Einiges leisten. Im Laufe des Films rückt Jesse Eisenbergs Charakter immer mehr in den Mittelpunkt (während Peter Sarsgaards Figur leider immer mehr aus dem Blickwinkel verschwindet) und sopaar? obliegt es Eisenberg, diesen Film zu tragen. Was ihm auch problemlos gelingt. Eisenberg hat ja wie auch ein Michael Cera das Problem, so ein bisschen auf gewisse Rollen festgenagelt zu sein, in Eisenbergs Fall schlaue Geeks mit sarkastischem Witz und Arschlochtendenz. Wer aber Eisenberg nur auf diese in „The Social Network” wohl am Besten verewigte Figur reduzieren will, der irrt.

Dies wird hier besonders deutlich, denn erneut bleibt Reichardt ihrem bisherigen Schaffen treu und gibt keine Informationen über ihre Protagonisten preis, die nicht natürlich aus dem Filmverlauf entstehen. Sprich: Es gibt keine großen Ansprachen der Figuren hier, die diese nicht für sich und ihre Umgebung halten, sondern lediglich um dem Publikum möglichst schnell und effektiv alles Wichtige zu erklären. Über Josh, Dena und Harmon erfährt man hier nicht viel – Josh arbeitet auf einer Biokommune, Dena hat reiche Eltern und finanziert die Aktionen, Harmon ist Ex-Militär und Ex-Knacki – weswegen die Schauspieler hier und vor allem Eisenberg nur mit absolutem Minimalismus arbeiten können. Und da Josh zudem noch extrem maulfaul ist, besteht Eisenbergs Spiel zum großen Teil nur aus Mimik und Gestik, kleinen verräterischen Momenten, die seine Seelenlage widerspiegeln.

Kelly Reichardts Auge für Details tut die übrige Arbeit. So wird etwa Denas Tendenz, in Momenten von Anspannung sich nervös zu kratzen ganz beiläufig und ohne Anmerkung eingeführt, wenn sie dann in der zweiten Filmhälfte mit großen roten Exzemen an Hals und Armen herumläuft, hat der Zuschauer wesentliche Informationen zu ihrem Befinden, ohne dass die Figur dazu auch nur ein einziges klischiertes Wort hätte sagen müssen. bootstourIn solchen Momenten zeigt sich die Stärke von Reichardts Ansatz: Zeigen, nicht deklarieren. Andeuten, nicht plakativ in Szene setzen. Dem Zuschauer vertrauen und ihm nicht jedes Detail vollendet entgegenschleudern.

„Night Moves” lebt von dieser extrem effektiven Beobachtungsgabe. Auch in den Momenten, in denen vorgeblich nichts passiert – und so mancher Zuschauer wird denken, dass dieser Film hauptsächlich aus solchen Momenten besteht – kann man mit wachem Auge und Verstand Nutzen und Bedeutung ziehen. Bis hin zum denkwürdigen Schlussbild, das den Zuschauer mit einem angenehm unangenehmen Gefühl hinterlässt. Fast so wie im 75er-„Night Moves”: Gelöst ist nichts und die Schwierigkeiten für unseren Protagonisten (eindeutig nicht: Helden) haben gerade erst angefangen.

Deutlicher als oben beschrieben kann man es eigentlich nicht sagen: Wer mit den falschen Erwartungen – die wir hier hoffentlich zerstreut haben – oder Einstellungen an diesen Film herangeht, der wird aus dem Kino kommen und sagen „selten so einen langweiligen Film gesehen”. Aber das wird auch sein oder ihr persönlicher Verlust sein. Denn wer sich auf das Tempo und den Stil einer Kelly Reichardt einlässt, der wird auch hier wieder reichlich belohnt – mit einem Zeitlupenthriller, der Protagonisten wie Zuschauer in unbekannte und ungemütliche Gewässer schippern lässt.

Bilder: Copyright

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