Mondkalb

Jahr
2007
Laufzeit
102 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Matthias Kastl / 5. März 2011

Die Motive der Figuren. Genau hier liegt das gravierende Problem eines Films, bei dem ansonsten eigentlich ziemlich viele Zutaten stimmen. Fernab von Stereotypen beschäftigt sich Sylke Enders' zweiter Kinofilm (nach "Kroko") nämlich über weite Strecken auf durchaus ansprechende Weise mit dem Schicksal seiner "beziehungsunfähigen" Hauptcharaktere. Doch selbst gute Darsteller und eine ordentliche Regieleistung können nicht übertünchen, dass Enders' Drehbuch ein großes Problem hat: es geizt mit Hintergrundinformationen zu den Figuren und gibt nur spärliche Einblicke in deren Innenleben. Mit zunehmender Spieldauer werden die Figuren so nicht etwa immer vertrauter, sondern es wächst im Gegenteil das Unverständnis für manche ihrer teilweise doch sehr irrational erscheinenden Handlungsweisen. Das beraubt "Mondkalb" dann wiederum leider einiger der anfangs so hart erarbeiteten Sympathiepunkte.

Der wichtigste Sympathieträger des Films ist Alex. Frisch aus dem Gefängnis entlassen zieht Alex (Juliane Köhler) alleine in das Haus ihrer verstorbenen Großmutter, um dort einen Neuanfang zu wagen. Einen wohlgemerkt sehr ruhigen Neuanfang, denn allzu intensiven Kontakt zu den anderen Bewohnern der Kleinstadt möchte sie tunlichst vermeiden. Doch als der 12jährige Tom (Leonard Carow) eines Tages in ihr Haus stürmt, ist es mit der Ruhe erst einmal vorbei. Nicht nur heftet sich der Junge, selbst ein Außenseiter, wie eine Klette an ihre Fersen. Bald betritt auch noch dessen alleinerziehender, und damit ziemlich überforderter Vater Piet (Axel Prahl) die Bühne, der schnell Gefallen an der neuen Frau im Ort findet. Doch die möchte eigentlich von neuen Bekannten und Beziehungen so rein gar nichts wissen.

Beziehungswracks. Das dürfte wohl die treffendste Beschreibung für die drei Hauptfiguren sein, die das neue Werk der Autorin und Regisseurin Sylke Enders bevölkern. Alle drei verschließen sich gegenüber ihren Mitmenschen, obwohl sie doch eigentlich alle genau diese Nähe zu anderen Menschen so dringend nötig haben. "Mondkalb" lässt diese Figuren nun miteinander kollidieren und schildert, wie sich alle drei langsam zueinander öffnen.
Da packt der Filmliebhaber nun gerne die Worte Charakterstudie und Sozialdrama aus seinem Sack prägnanter Filmbeschreibungen, und damit liegt er dann auch richtig. Richtig macht auch Enders vieles, denn der Griff in randvolle Klischeekisten bleibt aus und wir bekommen stattdessen durchaus interessante Figuren und Situationen geliefert. So lassen sich Konflikte nicht innerhalb von Minuten lösen und Figuren agieren schon einmal sperrig und unvorhersehbar. Dazu lässt die Regie den Szenen viel Zeit zu "atmen" und gibt den Schauspielern so viel Raum sich zu entfalten.
Das wiederum nutzt das Ensemble vorzüglich. Hauptdarstellerin Juliane Köhler ("Nirgendwo in Afrika", "Aimée & Jaguar") spielt intensiv und der junge Leonard Carow legt einen durchaus beachtlichen ersten Leinwandauftritt hin. Der heimliche Star ist aber Axel Prahl ("Halbe Treppe"), dem nicht nur eine überzeugende, sondern auch unglaublich sympathische Darstellung des zwischen Gutmütigkeit und Cholerik schwankenden Piet gelingt.

All dies ist lange sehr ansehnlich, doch mit der Zeit wird dann ausgerechnet einer der oben genannten Pluspunkte zum großen Manko. Dass so manche Handlung der Hauptfiguren überraschend und merkwürdig ausfällt, steigert zwar zu Beginn des Films das Interesse an den Charakteren, entwickelt sich aber dann in der zweiten Hälfte zu einem mittelschweren Klotz am Bein. Denn die Gleichung "mehr Zeit mit den Figuren = mehr Verständnis für sie" geht bei "Mondkalb" leider nicht auf. Enders' Drehbuch vergisst uns nämlich Szenen und Informationen zu liefern, durch die wir im Verlauf des Films einen Blick in das Innere der Protagonisten werfen könnten.
Die Figur der Alex ist ein gutes Beispiel dafür. Das Verhältnis zu ihrer Tochter und ihrem Ex-Mann wird zum Beispiel nie ausführlich beleuchtet. Wenn dann aber auf einmal mitten in der Geschichte der Ex (Udo Schenk) auftaucht und Alex aufgewühlt minutenlang beschimpft, dann ist es aufgrund mangelnden Hintergrundwissens sehr schwer für den Betrachter, emotional in die Szene involviert zu sein.
Diese Sequenz ist durch Schenks Overacting, der einzige schauspielerische Aussetzer des Films, zwar sowieso schon an die Wand gefahren, steht aber auch exemplarisch für das große Dilemma von "Mondkalb". Da sich in der zweiten Hälfte die Anzahl der extremen Situationen und Reaktionen häuft, die Motive der Figuren aber weiter im tiefsten Urwalddickicht versteckt sind, lockert sich das emotionale Band zwischen Zuschauer und Leinwandgeschehen immer weiter.

Dazu stagniert nun auch noch der Fortschrittsbalken der Geschichte. Es häufen sich Szenen, bei denen Konfliktlösungen doch eigentlich nahe erscheinen, dann doch aber auf etwas konstruierte Weise weiter nach hinten verschoben werden. Komplett kann man dem Film den Unterhaltungswert in dieser Phase zwar nicht absprechen, dafür sind Darsteller und Regie einfach zu gut, doch es ist schon frustrierend zu sehen wie "Mondkalb" einige der gerade erlegten Felle wieder davonschwimmen lässt.
Bezeichnend ist dann auch die Schlussszene, in der eine wichtige Figur eine nun wirklich reichlich merkwürdige Entscheidung fällt. Die Botschaft der Szene ist zwar deutlich, die Handlungsweise der besagten Person wirkt aber sehr unmotiviert und konstruiert. Aufgrund der guten ersten Hälfte und dem offensichtlichen Potential vor und hinter der Kamera ist so ein Ende ziemlich frustrierend.

So bleibt es bei all dem Lob letztendlich doch nur bei einer eher zurückhaltenden Empfehlung für "Mondkalb". Vormerken sollte man sich die Namen der Beteiligten trotzdem, denn unter der Vorraussetzung eines besseren Drehbuchs könnte eine erneute Zusammenarbeit durchaus ihre Reize haben.

Bilder: Copyright

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