Life, Animated

Originaltitel
Life, Animated
Land
Jahr
2015
Laufzeit
91 min
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Maximilian Schröter / 9. Juli 2017

Owen Suskind„Als Owen drei Jahre alt war, verschwand er einfach.“ – So schildert der Journalist und Autor Ron Suskind die erschreckende Entwicklung, die sein Sohn Owen durchmachte. War dieser bis dahin noch ein ganz „normales“ Kind gewesen, fällt er im Alter von drei Jahren plötzlich durch eine starke Abkapselung von der Außenwelt auf. Owen spricht nicht mehr und die Versuche, mit ihm zu kommunizieren, scheinen nicht zu ihm durchzudringen. Seine Eltern sind verzweifelt und konsultieren mehrere Spezialisten. Deren Diagnose lautet: Autismus. Ron Suskind und seine Frau scheinen sich damit abfinden zu müssen, womöglich nie wieder richtig mit Owen sprechen zu können und für den Rest ihres Lebens für ihn sorgen zu müssen. Doch eines Tages geschieht für sie so etwas wie ein Wunder: Owen, zu dessen wenigen Leidenschaften das gemeinsame Anschauen von Disney-Trickfilmen mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder gehört, spricht auf einmal wieder! Und zwar nicht nur einzelne Wörter oder bruchstückhafte Sätze, sondern klare, zusammenhängende Aussagen. Schnell erkennen seine Eltern, dass es sich dabei um Zitate aus Filmen wie „Arielle die Meerjungfrau“ handelt. Owen benutzt Disneyfilme, um sich die Welt zu erschließen, und mit Hilfe der Filme gelingt es ihm langsam aber sicher wieder in Kontakt mit seiner Außenwelt zu treten. Motiviert durch diesen Erfolg versuchen seine Eltern, diese unglaubliche Entwicklung zu nutzen und schlüpfen zum Teil selbst in die Rolle von Filmfiguren, um mit ihrem Sohn zu kommunizieren – mit Erfolg. Auf diese Weise beginnt eine lange, erstaunliche und nicht immer leichte Reise.
 

Erstaunlich ist sie tatsächlich, die Geschichte, die Owens Vater in seinem Buch „Life, Animated“ aufgeschrieben hat (einen Auszug daraus gibt es hier zu lesen). Darin schildert er den Weg durch Owens Kindheit und Jugend im Detail: Von der anfangs auf die Eltern so niederschmetternd wirkenden Diagnose „Autismus“ über die unglaubliche Freude über die Entdeckung der Wirkung der Trickfilme bis hin zu Owens noch wenige Jahre zuvor für unmöglich gehaltenem Auszug aus dem Elternhaus. Der gleichnamige, oscarnominierte Dokumentarfilm erzählt im Grunde genau dieselbe Geschichte, nur in wesentlich konzentrierterer Form. Da aus Owens Kindheit natürlich nur wenige bewegte Bilder zur Verfügung stehen, greift Regisseur Roger Ross Williams dabei gelegentlich auf eigens produzierte Animationssequenzen zurück, was angesichts der Bedeutung, die Animationsfilme in Owens Leben einnehmen, durchaus passend ist.

Owen SuskindNatürlich ist „Life, Animated“ stellenweise nichts anderes als eine unreflektierte Lobhudelei auf Disney-Filme. Doch wenn man sich vor Augen führt, dass diese Filme Owen in den Augen seiner Eltern buchstäblich gerettet und ins soziale Leben zurückgeführt haben, kann man verstehen, welchen Stellenwert diese Trickfilme für die Familie Suskind einnehmen. Zudem lässt es sich nicht leugnen, dass Filme wie „Der König der Löwen“ oder „Das Dschungelbuch“ fast auf der ganzen Welt zum Kulturgut gehören und die im Kino erzählten Geschichten allgemein natürlich dazu dienen, dass wir uns mit Fragen nach unserer Menschlichkeit auseinander setzen. Insofern ist „Life, Animated“ auch ein Film über die Bedeutung des Geschichtenerzählens. Mehr als andere Menschen erschließt sich Owen seine Welt sinnhaft über Filme. Die oft übertrieben gezeichneten Gesichtsausdrücke und Gesten der Trickfilmfiguren erleichtern es ihm, die dargestellten Emotionen zu erkennen. Indem er Sätze von Figuren wie dem bösen Jafar aus „Aladdin“ oder dem Heldentrainer Phil aus „Hercules“ nachspricht, gelingt es ihm, seine eigenen Emotionen zum Ausdruck zu bringen.

„Life, Animated“ zeigt aber nicht nur die Erfolge, die Owen und seine Familie erleben, sondern schildert auch die Rückschläge, die sie über die Jahre immer wieder einstecken müssen. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Phänomen Autismus darf man hier jedoch nicht erwarten. Der Film beleuchtet allerdings dessen zwischenmenschliche Folgen und eben all die Hürden, die Owen und seine Familie bei der Bewältigung ihrer Probleme zu überwinden haben. Angesichts der anfänglichen Prognose, Owen werde vielleicht nie wieder mit seiner Außenwelt kommunizieren können, ist der Lebensweg des inzwischen 26-Jährigen mehr als beeindruckend. Mit die Unterstützung seiner Familie und zahlreicher Ärzte und Therapeuten gelang es ihm beispielsweise, aufs College zu gehen. (Dass sein Vater seit vielen Jahren ein erfolgreicher und angesehener Journalist ist, der unter anderem den Pulitzerpreis gewonnen hat und die Familie finanziell dementsprechend gut ausgestattet sein dürfte, hat dabei sicherlich geholfen.)

Das Land der verlorenen SidekicksOwens Liebe zu Animationsfilmen zeigt sich auch in seiner eigenen Kreativität. Er hat nicht  nur eine eigene Leidenschaft fürs Zeichnen entwickelt, sondern auch die Idee zu einem eigenen Trickfilm, der mehrere Sidekicks aus verschiedenen Disney-Filmen in einer Geschichte vereinen soll. Diese ist in „Life, Animated“ als Film-im-Film in Form von einfach gezeichneten Animationssequenzen enthalten. Owens Lebensweg und seine Erfolge sind also äußerst beeindruckend. Sie zeigen, wozu Menschen trotz widrigster Prognosen fähig sind und welche Hürden sie mit Hilfe von anderen überwinden können. Der Film verdeutlicht zudem, worauf es im Leben ankommt: sich selbst auszudrücken, zu kommunizieren und so Grenzen zu überwinden. Das zumindest ist eine zentrale Botschaft von „Life, Animated“. Ein weiterer Effekt des Films ist selbstverständlich, dass er beim Zuschauer die Lust weckt, all die heißgeliebten Disney-Klassiker noch einmal anzuschauen.

Bilder: Copyright

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