Joe Goulds Geheimnis

Originaltitel
Joe Gould's Secret
Land
Jahr
1999
Laufzeit
108 min
Genre
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Nadja Raweh / 1. Januar 2010

Greenwich Village, 1942: Der Reporter Joseph Mitchell begegnet zum ersten Mal dem exzentrischen Schriftsteller Joe Gould. Etwas heruntergekommen und ungepflegt steht er vor ihm – schreit, krächzt und behauptet, die Sprache der Möwen zu beherrschen. Ein Verrückter? Doch dann erzählt er Mitchell, dass er an einer mündlich überlieferten Geschichte der Menschheit arbeitet, „The Oral History of Our Time“, die schon jetzt mehr als 1.200.000 Wörter umfasst. Also kein Verrückter, sondern ein hoch intelligenter, kreativer Mann – untergegangen im Kaleidoskop der Künstlerszene New York?
Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Mit Sicherheit aber ein interessanter Mensch, über den es sich lohnt, mehr zu erfahren. Und so beginnt Mitchell diesen „seltsamen armen, kleinen Mann, der 1916 nach New York kam und sich so gut wie möglich durchs Leben schlängelte“ auf seinen Wegen zu begleiten. Mit der Zeit lernen sie von einander, adaptieren ein paar Gewohnheiten des anderen und langsam entwickelt sich eine tiefe Freundschaft. Nachdem Mitchell sein Portrait über Gould „Professor Seagull“ veröffentlicht hat, findet der vergessene Schriftsteller plötzlich wieder große Beachtung. Leser schicken ihm Geldspenden und er avanciert zur lokalen Berühmtheit. Mitchell möchte nun weitere Texte aus der „Oral History“ lesen, und auch Verleger sind erpicht darauf, das Werk zu drucken. Doch Gould weigert sich, mit immer neuen Ausreden, es zu veröffentlichen. Der Umgang mit ihm wird immer schwieriger. Er wird so vereinnahmend und fordernd, dass Mitchell sich sogar verleugnen lässt. Die Freundschaft der beiden Männer droht an Joes anstrengendem Wesen zu zerbrechen. Zugleich keimt in Mitchell langsam ein Verdacht in Bezug auf Joe Goulds ominöse Schriften auf ...

„Joe Goulds Geheimnis“ ist mit Sicherheit eines der hellen Lichter dieses Kinojahres. Eine scheinbar unspektakuläre, kleine Geschichte im Vergleich zu ihrer pompösen Mainstreamkonkurrenz, doch ungemein bewegend und berührend. 
Der Film erzählt die Geschichte eines genialen Freigeistes, der sich nicht anpassen wollte (und wohl auch nicht konnte) und es niemandem leicht machte, ihm zu helfen und ihn zu lieben. Doch um den Zuschauer für sich zu gewinnen, musste Joe Gould nur einmal seine möwenartigen Armbewegungen machen und dabei auf- und abhüpfen, und es war um einen geschehen. Sir Ian Holms Leinwandpräsenz als Joe Gould ist umwerfend. Er zieht den Betrachter mit sich, wo auch immer er sich gerade befindet – an einem Hoch- oder Tiefpunkt seines Lebens.
Joseph Mitchell erlag seiner Zeit wohl auch diesem Sog und der Person, die ihn verursachte. Und so ist der Film ebenso die Geschichte einer komplizierten, fast symbiotischen Beziehung zweier Männer – Gould und Mitchell. Joseph Mitchell wird mit sehr viel Intensität von Stanley Tucci dargestellt. Alles, was Mitchell als Menschen ausmachte, stellt er aufs feinfühligste und glaubwürdigste dar – den ehrgeizigen Reporter, den liebenden Ehemann und Vater, den treuen wie auch den misstrauischen Freund. 
Doch nicht nur der Darsteller, sondern auch der Regisseur Tucci beweist in seinem dritten Werk („Big Night“, „The Impostors“) großes Können. Mit einem unendlichen Gespür für Zeitkolorit lässt er die Bohemiens der New Yorker 40er Jahre wieder auferstehen. Sehr vorsichtig und einfühlsam, aber immer ehrlich schaut er auf die Menschen – mit einem ernsten Auge und einem schmunzelnden. Und immer wieder sind es andere Augen durch die wir Goulds Menschen sehen. Mal ist es Tuccis Kamera, mal der Fotoapparat von Mitchells Frau und mal sind es Goulds eigene Worte, die New Yorks Menschen ihre Schönheit oder Hässlichkeit, aber immer ihre Natürlichkeit geben.
Ab dem 17. August ist „Joe Goulds Geheimnis“ für jedermann zu entdecken, der ein Kleinod auf der Kinoleinwand zu schätzen weiß.


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