Existenz

Originaltitel
Existenz
Land
Jahr
1999
Laufzeit
97 min
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Frank-Michael Helmke / 8. März 2011

David Cronenberg ist ein Fall für sich. Er gilt als einer der einfallsreichsten und visionärsten Regisseure, die auf dem amerikanischen Markt herumlaufen, und seine Filme sind generell etwas, naja, eigenwillig. Zumeist kontrovers und im Regelfall auch relativ anstrengend, finden seine Werke zwar nicht gerade ein sehr großes, dafür aber sehr enthusiastisches Publikum. Wer schon einmal einen Cronenberg-Film gesehen hat, der weiß, was auf ihn zukommt. Alle anderen seien an dieser Stelle schon einmal gewarnt. Zu seinen früheren Filmen zählt beispielsweise „Naked lunch“, eine rücksichtslose Visualisierung eines mächtig fiesen Drogentrips, oder „Crash“, in dem er sich mit Personen beschäftigte, die einen sexuellen Kick durch Autounfälle bekommen. Starker Tobak? Nun ja, so ist er eben, und „eXistenZ“ macht da keinen großen Unterschied.

Zu Beginn des Films werden wir Zeuge der ersten Präsentation eines neuen Virtual Reality-Computerspiels namens „eXistenZ“. Voller Stolz stellt der Repräsentant der Entwicklerfirma Antenna den versammelten Pressevertretern (?) die berühmteste Spielentwicklerin der Welt vor, Allegra Gellar. Einige der Anwesenden fallen bei ihrem Eintreten auf die Knie, sie scheint doch mächtig imposante Arbeit zu leisten. Bei den Vorbereitungen zur ersten Proberunde wird schon klar, daß wir uns hier nicht in der normalen Welt befinden. Zum Spielen benötigt jeder Spieler ein Bio-Pad. Das sieht aus wie ein Game-Pad aus organischen Substanzen, das man sich auf die Oberschenkel legt und welches nach Einschalten schleimige Massage-Bewegungen macht. Von diesem Pad führt ein Kabel, das aussieht wie eine Nabelschnur, in den Bio-Port des Spielers. Selbiger befindet sich knapp oberhalb des Hinterns und ist nichts weiter als ein kleines Loch in der Wirbelsäule, in das man sich besagte Nabelschnur hineinsteckt. Wem das bereits zu bizarr ist, ist eindeutig im falschen Film. Als gerade die erste Testrunde beginnen soll, springt ein Attentäter auf und versucht, Allegra Gellar zu erschießen. Im anschließenden Tumult kann sie sich mit Hilfe des Marketing-Azubis Ted Pikul retten. Die Pistole des Täters bestand übrigens aus Knochen, und bei der Entfernung der Kugel stellen Allegra und Ted fest, daß diese ein menschlicher Zahn war. Drum kam das Ding auch durch den Metalldetektor. Allegra’s Biopad, das sie wie ein Baby behandelt, wurde bei dem Attentat beschädigt, und da die einzige Version des Spiels, sozusagen der Prototyp, in diesem Biopad ist, muß sie eine Proberunde spielen, um zu prüfen ob noch alles okay ist. Sie überzeugt Ted, sich einen Bioport einsetzen zu lassen, was komischerweise an einer abgelegenen Tankstelle durch einen zwielichtigen Mechaniker geschieht, und schon geht es los in die virtuelle Welt von „eXistenZ“.

Die folgenden Ereignisse zu beschreiben würde den gesamten Film ruinieren, hat aber auch keinen Sinn, da die Handlung von diesem Moment an so absolut bizarr und merkwürdig wird, daß eine simple Inhaltsangabe sowieso nicht funktionieren würde. Allegra und Ted finden sich alsbald in einem Spiel im Spiel wieder (wobei genug Indizien dafür existieren, das sie bereits in einem Spiel sind, comprende?), und können selbst kaum unterscheiden, was jetzt sie tun, oder was ihre Spielcharaktere tun. Der eigene Wille sagt leise Servus. Daß selbst die Entwicklerin des Spiels nicht weiß, was ihr bevorsteht, wirkt zwar etwas merkwürdig, wird aber schnell genug von anderen, wesentlich merkwürdigeren Dingen überschattet.

„eXistenZ“ ist absolut gewöhnungsbedürftig. Wer die Idee eines organischen Game-Pads schon abstoßend findet, dem wird sich im weiteren Verlauf des öfteren der Magen umdrehen. Denn unter anderem wird der Zuschauer Zeuge einer gepflegten Sezierung eines solchen Teils und darf eine Fabrik besuchen, in dem aus recht komisch aussehenden Reptilien eben diese Pads hergestellt werden. Bis auf einige Werkzeuge ist in diesem Film sowieso alles organisch, inklusive der Waffen, und das verlangt vom Zuschauer schon eine ganze Menge Toleranz. Gerade diese aufzubauen erweist sich als extrem schwierig, da viele Szenen, eben aufgrund der ungewohnten „Dinge“, ungewollt komisch wirken und man des öfteren laut loslachen muß, wenn es absolut nicht angebracht ist. Ted bezeichnet seine Wahrnehmung des Spiels an einer Stelle so: „Alles ist so ekelig, absurd und grotesk.“ Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

Die Frage, was uns der Künstler damit eigentlich sagen will, ist schnell beantwortet. Die sexuelle Metaphorik ist fast schon erbärmlich offensichtlich, und in der ersten halben Stunde kann man sich einen Heidenspaß daraus machen, die Dialoge von Allegra und Ted in einen eindeutigeren Sinnzusammenhang zu transferieren. Dennoch ist das eigentlich nicht der Punkt. Ich will hier jetzt niemandem alles auf die Nase binden, aber wenn man schon Thema und Ablauf des Films kennt, dann ist es nicht mehr schwer zu erraten, worum es letztendlich geht.

Die Botschaft ist nicht neu, und jeder Medienpädagoge dieses Planeten hat schon mindestens einen Aufsatz darüber geschrieben. Doch obwohl es nichts neues ist, ist Cronenberg’s Herangehensweise trotzdem von grundauf verschieden. Während man im Kino sitzt und sich diesen Film ansieht, ist man ständig gehalten, aufzustehen und seine Zeit sinnvoller zu verschwenden. Alles wirkt völlig abstrakt, abgefahren, sinn- und inhaltslos, und Zusammenhänge sucht man oft vergebens. Aber man sollte dieser Versuchung widerstehen und den Film bis zum Ende abwarten, denn erst in den letzten Minuten erreicht Cronenberg die Wirkung, die eigentlich beabsichtigt ist. Und erst als der Abspann läuft, wird sich die Meinung des Publikums über diesen Film endgültig teilen.

Als die Leinwand schwarz wurde und die ersten Namen durchs Bild rollten, stand ich auf und wurde unwillkürlich daran erinnert, wie ich früher mit einigen Freunden Tage und Nächte damit verbrachte, „Duke Nukem 3D“ im Netzwerk zu spielen. Und für einen kurzen Moment kam mir die Realität merkwürdig verzerrt vor. Dieser Moment ist entscheidend, entscheidend für all das, was Cronenberg mit diesem Film beabsichtigt. Jeder, der mehr als eine schlaflose Nacht vor seinem Bildschirm durchzockte und für Wochen und Monate in den phantastischen Welten von „Wizardry“, „Diabolo“, „Quake“ oder ähnlichem verschwand, der wird diesen Moment erleben. Den anderen wird er entgehen. Und das ist der eigentliche Geniestreich Cronenbergs: Daß „eXistenZ“ nur für die Leute wirklich funktioniert, die die Botschaft erreichen soll. Der Medienpädagoge, der für gewöhnlich vor Computerspielen warnt, wird mit diesem Film nicht viel anfangen können. Der Spieler hingegen, der auf das Gequassel des Medienpädagogen einen Scheiß gibt, der wird verstehen. Die Botschaft ist keineswegs subtil, sie ist nicht neu, und sie kommt extrem deutlich daher. Der Unterschied ist in diesem Falle wirklich nur die Wirkungsweise. Und die hängt ganz allein vom jedem einzelnen Zuschauer selbst ab.

Für den bleibt „eXistenZ“ deshalb eine Ansammlung von grotesken Absurditäten, die sicherlich sehr einfallsreich und kreativ sind, aber irgendwie unmotiviert, ungeordnet und unüberlegt wirken. Für die anderen sind diese Absurditäten auch da, doch sie verlieren an Bedeutung neben den interessanten und nicht alltäglichen Gedanken, die auf dem Heimweg über einen kommen. Der Film an sich wird dadurch nicht anders, vielmehr aber die persönliche Einstellung.

Letztlich wird es über „eXistenZ“ sicher keine einhellige Meinung geben. Die Cronenberg-Fans werden ihn auf jeden Fall sehen, und den meisten anderen muß ich, ehrlich gesagt, abraten. Die Zocker unter euch hingegen, die Leute, denen durchwachte Nächte vor dem PC nicht fremd sind, die sollten sich diesen Film ansehen. Ich kann nicht beschwören, daß die Wirkung dieselbe sein wird wie bei mir. Aber ich bin mir ziemlich sicher, daß ihr es als eine interessante Erfahrung nicht bereuen werdet.


7
7/10

Auch wenn der gelungene Plot am Ende des Films viele der äusserst merkwürdigen Dialoge in ein ganz neues Licht rückt und die eineinhalb Stunden voller ekelhafter Ideen stecken, die mir teilweise etwas zu offensichtlich darauf darauf getrimmt sind den Zuschauer zu quälen, so kann er dennoch nur schwach darüber hinwegtrösten, dass das Gesamtpaket als viel zu surreal und deshalb auch als zu belanglos wahrgenommen wird. Man fiebert nicht mit den beiden Protagonisten mit sondern fragt sich nur welch sadistische Freude Cronenberg wohl dabei hatte uns seine ekelerregende Bioport-Welt zu präsentieren. Nichtsdestotrotz erlebte ich als praktizierender Hardcore-Gamer (und ehemaliger PC-Spieleentwickler) auch diesen magischen Moment, von dem Herrn Helmke spricht, und gebe dem Film deshalb gerne anstatt 5 Augen zwei schleimige, zuckende Augäpfel mehr.

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