Emmas Glück

Jahr
2006
Laufzeit
99 min
Genre
Bewertung
von Patrick Wellinski / 16. November 2010

Wir wiederholen es gerne nochmal, denn es klingt ja so schön: Das letzte Kinojahr war geprägt von großartigen deutschen Produktionen. Das deutsche Kino war so erfolgreich wie lange nicht mehr. Vom Siegeszug des Stasi-Dramas "Das Leben der Anderen" bis zum äußerst erfolgreichen "Sommermärchen" waren es nationale Produktionen, die viel Geld an den Kinokassen einbrachten. 26 Prozent Marktanteil bedeuten, dass jede vierte Kinokarte 2006 für einen deutschen Film gelöst wurde. Bei den vielen sehr guten deutschen Filmen, die 2006 in die Kinos kamen, passierte es auch, dass uns dabei eine kleine Perle durch die Lappen ging: "Emmas Glück". Aber zum Glück gibt es die DVD.

Es ist die Krankheit, die ihn heraustreibt. Raus aus seinem Beruf und auch raus aus seinem jetzigen Leben. Max (Jürgen Vogel) hat Bauchspeicheldrüsenkrebs und möchte keine aufwendige Behandlung. Zu retten ist er ja eh nicht mehr. So entschließt sich dieser Max also, den Gebrauchtwagenladen, in dem er arbeitet, zu beklauen. Er nimmt das Geld und will nach Mexiko. Weit weg und dort leise sein Leben zu Ende leben. Doch daraus wird leider nichts. Nach einem Autounfall landet Max auf dem Bauernhof von Emma (Jördis Triebel). Die versorgt den Verwundeten, ist aber ansonsten mit anderen Problemen beschäftigt. Sie muss verhindern, dass ihr über alles geliebter Bauernhof versetzt wird.

Das letzte Jahr war auch das Jahr von Jürgen Vogel. In sechs Produktionen war dieses Pfund unter den deutschen Schauspielern zu sehen. In "Emmas Glück" liefert er vielleicht die leiseste und sensibelste Leistung ab. Das wahre Ereignis dieses Films ist sowieso ganz allein Jördis Triebel. Jördis wer? Das darf man an dieser Stelle ruhig fragen. Die 30-jährige Berlinerin gab hier ihr Leinwanddebüt, und sie ist ganz große Klasse.
Ihre Emma ist fast jeglicher Weiblichkeit beraubt. Diese Arbeiterhände und strammen Waden deuten eher auf einen Profifußballer hin. Emma schlägt sich mit der Kraft einer Löwin durch das Leben. Sie hält den Dorfpolizisten Henner (hinreißend: Hinnerk Schönemann), der offensichtlich in sie verliebt ist, auf Distanz. Sie holt auch schon mal das Gewehr raus und ist damit auch äußerst zielsicher. Max gewinnt aber ihrer Maskulinität eine andere Seite ab. Es ist wunderbar zu sehen, wie diese Charaktere sich einander nähern, wie sie sich beeinflussen. Wenn Max aus reinem Ordnungssinn Emmas Küche aufräumt, bekommt die beim Anblick der sauberen Stube einen Anfall. Und wenn er dann noch Gemüse kocht, ist die Fleischproduzentin in Emma klinisch tot.
Denn genau dass ist vielleicht der entscheidende Punkt in Sven Taddickens Spielfilmdebüt: Emma hat einen ganz speziellen Umgang mit ihren Tieren, vor allem den Schweinen. Damit hat sie aber auch ein ganz spezielles Verhältnis zum Tod. Denn die Wurst macht sich nicht von allein. Doch Emma ist kein gleichgültiger Schlachter. Sie holt das Schwein zu sich. Redet mit ihm. "Entspann dich", sagt sie in diesem Augenblick. Sie flüstert ihm ganz sachte zu. Sie küsst das Schwein und streichelt es liebevoll. Das Messer blitzt nur kurz im Bild auf und dann ist es auch schon passiert. Max beobachtet das einmal kommentarlos. Er denkt sich seinen Teil.
Und dann schlägt dieser wunderbare Film plötzlich von einer Liebes-Komödie über zwei Menschen, die sich ergänzen, in ein Euthanasie-Drama um. Dabei bleibt die Erzählung immer zutiefst menschlich und behält die Liebe, die er seinen Figuren entgegenbringt, auch bis zum Ende bei. Taddicken muss nicht alles erklären. Er lässt dem Zuschauer viel Freiraum. Das ist großartig und tief berührend zu gleich.

"Emmas Glück" ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Claudia Schreiber, die auch am Drehbuch mitgearbeitet hat. So mutiges junges deutsches Kino sieht man wirklich selten. Schlicht und einfach ein Glücksfall. Ein Film über den leichten Umgang mit Tod, die Akzeptanz der eigenen Endlichkeit und auch über die Magie einer ganz besonderen Liebe. Und das alles von einem Regiedebütanten. So etwas ist sehr selten.

Die wunderbar fotografierte Landschaft findet im Zusammenspiel mit dem leichten Soundtrack (u.a. Damien Rice) eine ausgeklügelte Bildersprache, die oft sehr magisch, fast schon mythisch wirkt. Um hinter dieses Rätsel zu steigen, darf man sich am üppigen Bonusmaterial - insgesamt 65 Minuten - auf der DVD bedienen. Neben dem klugen Audiokommentar des Regisseurs finden sich auch Szenen, die es nicht in die fertige Fassung geschafft haben. Neben einem Zusammenschnitt einer Interviewreihe mit u.a. Sven Taddicken und Jördis Triebel finden sich noch atmosphärisch sehr stimmungsvoll und dichte Making-Of-Aufnahmen vom Set, mit immer wieder integrierten Outtakes. Aber das eigentliche Highlight ist ein Kurzfilm von Sven Taddicken, den dieser noch als Student an der Filmhochschule Baden-Württemberg gedreht hat. Hier kann man sehr deutlich erkennen, dass Taddicken schon damals offenbar eine Neigung für starke und immer auch ein wenig bizarre Frauenfiguren besaß. Jedenfalls handelt der Kurzfilm mit dem Titel "SCHÄFCHEN ZÄHLEN!" von einer Bahnschaffnerin, die ihre Lust nach Sex befriedigt, indem sie einem Mann KO-Tropfen verabreicht.
Alles in allem sollte man "Emmas Glück" so schnell wie möglich nachholen, falls man den Film noch nicht im Kino gesehen hat. Die DVD ist auf jeden Fall zu empfehlen.


10
10/10

Wirklich ein sehr seltener Film. Wenn einen die beschreibung nur etwas gefällt muss er umbedingt hineinen. Mir persönlich hat er sehr gefallen. wie seit ma im hozewald. Mach witter so. ich spiss dich gli mit de mistgabel uff. Wollte mich im film verbessern.

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9
9/10

der Film war wirklich sehr gut - aber mit 10er Bewertungen bin ich vorsichtig.

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9
9/10

Ich schliesse mich an: das war einer der besten Filme in dem Jahr, die ich gesehen habe. Egal, ob deutsche oder nicht-deutsche. Und auf jeden Fall war es einer der sentimentalsten - ja, ich hatte zum Schluss Tränen in den Augen und das kommt bei mir sehr selten vor, da ich romantischen Kitsch nicht ausstehen kann. Aber hier war alles perfekt: die Geschichte, die Schauspieler, die Inszenierung. Toll! Sehenswert!!

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7
7/10

Wenn ein todkranker Autoverkäufer, seinem Kumpel viel Schwarzgeld gestohlen hat und eine hochverschuldete, einsame Bäuerin zusammentreffen, wäre das ein Stoff für eine romantische Schmonzette. Doch der Film ist alles andere. Die Bilder in warmen Herbstfarben vorwiegend braun, gelb und ocker gehalten zeigen Hessisch-Sibirien von seiner schönsten Seite. Und die Diskrepanz zwischen den beiden Welten von Max und Emma könnte nicht größer sein. Sie verlieben sich in einander, gestehen sich ihre Diebstähle und genießen ihr Glück. Aber wie das so ist mit dem Glück – es ist nicht von Dauer und Emma setzt ihrem Glück auch noch eigenhändig ein Ende. Wer den Schock, wie sie das macht, verkraftet, kann sich eventuell noch mit der Frage der Sterbehilfe gedanklich auseinander setzen.

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