Die Verlegerin

Originaltitel
The Post
Land
Jahr
2017
Laufzeit
116 min
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 12. Januar 2018

Manchmal kann es sogar in Hollywood ganz schnell gehen. Es müssen nur die richtigen Leute beschließen, dass es schnell gehen muss. Steven Spielberg, zum Beispiel. Der hatte Anfang 2017 auf einmal unerwartet Zeit, als sich sein geplantes nächstes Projekt verzögerte, bekam dann ein Drehbuch der Autorin Liz Hannah in die Hand - und hatte neun Monate später die komplette Produktion seines neuen Films abgeschlossen, trotz der Einbindung der beiden Weltstars Meryl Streep und Tom Hanks, die nicht gerade zuhause sitzen und darauf warten, dass das Telefon klingelt. Auf den ersten Blick mag diese Eile nicht so verständlich sein, schließlich erzählt "Die Verlegerin" einen historischen Stoff aus den frühen 1970er Jahren. Doch man muss nur einmal genauer hinsehen, um gleich zu begreifen, wieso Spielberg mit diesem Stoff keinen Tag länger warten und ihn so schnell wie möglich auf die Leinwände bringen wollte. Die VerlegerinDenn "Die Verlegerin" ist gleich in doppelter Hinsicht ein hochaktueller Film. Mit dem Porträt einer Frau, die sich in einer männerdominierten Welt in einer Führungsrolle behaupten muss, passt der Film perfekt zu aktuellen gesellschaftlichen Debatten um Gleichberechtigung und Respekt für weibliche Führungskräfte. Und mit seiner Geschichte über den vielleicht bedeutendsten Kampf für die Pressefreiheit im Amerika des 20. Jahrhunderts liefert "Die Verlegerin" einen enorm starken Kommentar über die Wichtigkeit, die Ideale einer freien Presse vor der Einflussnahme einer ihr feindlich gesinnten politischen Führung im Weißen Haus zu schützen. 

Die "Pentagon Papers" waren eine strenggeheime interne Studie des US-Verteidigungsministeriums von 1967, die auf Anweisung des damaligen Verteidiungsminsters Robert McNamara (hier gespielt von Bruce Greenwood) erstellt wurde und auf mehreren tausend Seiten die jahrzehntelange Involvierung der USA in Südostasien analysierte, bis hin zum damals aktuell geführten Vietnamkrieg. Das Hochbrisante daran war, dass die "Pentagon Papers" auch aufführten, wie die amerikanische Regierung die Bevölkerung systematisch über ihre Aktivitäten und ihre wahren Motivationen in Vietnam getäuscht hatte - bis hin zu der Tatsache, dass man sich längst darüber im Klaren war, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen war, man ihn aus Angst vor der Schmach einer Rückzugs aber dennoch weiterführte. Der Whistleblower Daniel Ellsberg (Matthew Rhys), der selbst an der Studie mitgearbeitet hatte, spielte Teile davon schließlich der New York Times zu, die im Juni 1971 mit der Veröffentlichung begann. Die Reaktion der US-Regierung unter dem damaligen Präsidenten Richard Nixon kam prompt: Sie zwangen die Times per gerichtlicher Verfügung, nichts weiter zu veröffentlichen, vermeintlich zum Schutze des Staates. 

An diesem Punkt kam die Washington Post ins Spiel, schon damals der große Konkurrent der New York Times. Denn Ellsberg wandte sich nun an einen Reporter der Post, so dass die Papiere zum damaligen Chefredakteur Ben Bradlee (Tom Hanks) und seinem Team gelangten. Für Bradlee ist völlig klar, dass sie die Papiere anstelle der Times weiter veröffentlichen müssen. Doch die finale Entscheidung darüber obliegt der Verlegerin seiner Zeitung, Kay Graham (Meryl Streep). Die steht nur an der Spitze des seit Generationen als Familienunternehmen geführten Verlags, weil dessen eigentlicher Chef, ihr Ehemann, sich vor einigen Jahren das Leben genommen hat. Die VerlegerinUm das Überleben des Verlags langfristig zu sichern, ist Graham gerade dabei, das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln - entsprechend kommt der Skandal um die "Pentagon Papers" zur Unzeit. Denn eine Veröffentlichung und der damit garantierte Rechtsstreit mit der Regierung, der die führenden Köpfe der Zeitung sogar ins Gefängnis bringen könnte, wäre Grund genug für die wichtigsten Investoren, den gesamten Börsengang platzen zu lassen und die Zeitung in eine existenzielle Krise zu stürzen. 

Würde man "Die Verlegerin" als historische Aufarbeitung des "Pentagon Papers"-Skandals betrachten, müsste man ihm ein paar Ungenauigkeiten und vor allem eine falsche Gewichtung vorhalten. Mit Daniel Ellsberg spielt der eigentlich größte Held dieser Geschichte hier nämlich nur eine Nebenrolle, und was sich damals in den Redaktionsräumen der New York Times zugetragen haben muss, findet überhaupt keine Berücksichtigung, da die Geschehnisse quasi ausschließlich aus Perspektive der Washington Post-Redaktion erzählt werden. Auch die Darstellung von Kay Graham, die hier als eine sehr kleinlaute Dame porträtiert wird, die als einzige Frau an einem Konferenztisch mit lauter gewichtigen Herren vor lauter Verschüchterung nicht ein Wort herausbekommt, entspricht nicht gerade den historischen Tatsachen. 

Die VerlegerinAber das hier ist eben keine Dokumentation, und "Die Verlegerin" benutzt seine historische Vorlage, um das zu transportieren, worum es ihm eigentlich geht. Das ist eben zum einen die Debatte um den Wert des Ideals der Pressefreiheit, der hier nicht nur ausgetragen wird hinsichtlich der Frage, ob die Presse das Recht hat, diese Staatsgeheimnisse zu veröffentlichen. "Die Verlegerin" reflektiert auch darüber, dass Journalisten und Publizisten sich selbst in die Verantwortung nehmen müssen, wenn sie durch enge Freundschaften mit dem einen oder anderen Politiker die Objektivität darüber zu verlieren drohen, ob und wie sie über manche Dinge berichten sollten - da es auch einem Menschen schaden könnte, dem sie persönlich nahe stehen. 

Zum anderen und vor allem ist "Die Verlegerin" aber ein Film über die Selbstbehauptung einer Frau, die umgeben und beeinflusst von mächtigen Männern eine Entscheidung von unglaublicher politischer Tragweite treffen muss. Und in diesem Aspekt ist "Die Verlegerin" ein kleines Juwel des Feminismus. Während alles, was mit dem thematischen Aspekt der Pressefreiheit zu tun hat, von den Figuren wortreich debattiert und von Spielberg schnörkellos und effektiv ins Bild gesetzt wird, erzählt er diese andere Seite der Geschichte auf großartig filmische Weise, indem er das Geschlechterverhältnis in starken Bildern immer wieder deutlich kontrastiert. Wie Kay Graham zum Beispiel auf dem Weg in einen Sitzungssaal durch ein Spalier anderer Frauen schreitet, von denen keine einzige mit hinein in den Raum darf, weil es eben alles nur die Sekretärinnen der ganzen Männer sind, mit denen Graham sich nun als einzige Frau auseinandersetzen muss. Mit welcher herablassenden Art einige dieser wichtigen Herren über Graham sprechen und über ihre vermeintliche Unfähigkeit, den Verlag eigenständig zu führen, obwohl sie sich in direkter Hörweite befindet. Und wie sehr Graham auch selbst unhinterfragt ihren traditionellen Rollenbildern verhaftet bleibt, indem sie zum Beispiel viel Aufmerksamkeit darauf verwendet, als gute Gastgeberin zu funktionieren, während sich um sie herum die politische Krise zuspitzt.

Die VerlegerinFür solch einen Part braucht man dann auch einfach eine Darstellerin der Extraklasse wie Meryl Streep, um den stetigen inneren Kampf Grahams einzufangen, aber auch um genug Präsenz und Ausstrahlung an den Tag zu legen, als dass sie mit ihrer vermeintlichen Duckmäuserigkeit, die Graham hier über weite Strecken an den Tag legt, nicht zu einer gejagten grauen Maus verkommt. Dank Streep wird Grahams Zerrissenheit hier jedoch wundervoll deutlich. Sowohl die Zerissenheit als Frau zwischen der traditionellen Rolle, die sie ihr Leben lang eigentlich für sich akzeptiert hatte, und der modernen, in die sie durch den Wandel der Ereignisse hineingedrängt wurde; als auch die als Führungsfigur, die zwischen dem wirtschaftlichen Überleben des Vermächtnisses ihrer Familie und der moralischen Verpflichtung einer Medieninstitution abwägen muss. 

"Die Verlegerin" ist auch in allen Nebenrollen großartig besetzt und überhaupt insgesamt ein beachtliches Dokument dafür, mit welcher enormen handwerklichen Sicherheit die hier Beteiligten selbst dann großes Kino erzeugen können, wenn ihnen vergleichsweise sehr wenig Zeit zur Verfügung steht. Man kann bemängeln, dass es dem Film in seiner ersten Hälfte etwas an erzählerischem Zug fehlt und es dauert, bis die Spannung endlich richtig einsetzt - ein paar Monate mehr Zeit, um am Drehbuch zu feilen, hätten hier vielleicht doch noch einen Unterschied gemacht. Doch diese kleinen Schwächen macht "Die Verlegerin" wett mit der Überzeugungskraft, die in ihm steckt. Weil einfach spürbar ist, wie wichtig es allen Beteiligten hier war, diese Geschichte zu erzählen - und zwar genau jetzt, wo sie erzählt werden sollte. Es zeugt von Spielbergs unbestreitbaren Fähigkeiten als Filmemacher, dass man hier am Ende durchaus Tränen in den Augen haben kann, obwohl es um kein persönliches Schicksal, sondern um ein ziemlich abstraktes Konzept geht. Und es zeugt von der klaren Botschaft, die dieser Film ebenfalls vermitteln möchte, dass im Abspann der Name von Meryl Streep als erstes erscheint - und eben nicht der ihres nicht minder berühmten und wichtigen männlichen Co-Stars. "Die Verlegerin" ist ein sehr politischer Film, in sehr politischen Zeiten. Wie gut, dass Steven Spielberg zufällig etwas Zeit frei hatte. 

Bilder: Copyright

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