Die Faust im Nacken

Originaltitel
On the waterfront
Land
Jahr
1954
Laufzeit
108 min
Genre
Regie
Bewertung
von Benjamin Hachmann / 20. Juni 2010

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Lässt man die Filme der fünfziger Jahre Revue passieren, stehen vor dem geistigen Auge des cinephilen Zuschauers für gewöhnlich zwei Szenen im Vordergrund: der über dem Luftschacht der New Yorker U-Bahn hochgewehte Rock der Monroe, sowie Deborah Kerr und Burt Lancaster in einer einsamen Bucht von Hawaii, wie sie sich liebend in der Gischt der anrollenden Brandung umarmen. Neben Wilders "Das verflixte siebte Jahr" und Zinnemanns "Verdammt in alle Ewigkeit" hat jedoch ein anderer Film dieser Dekade die Kinolandschaft auf den Kopf gestellt. Auch wenn dieser keine spezifische Sequenz aufzuweisen vermag, die sich ins kollektive Gedächtnis der Filmgeschichte gebrannt hat, ist sein Einfluss auf das Kino der Gegenwart nicht von der Hand zu weisen.
Die Rede ist von Elia Kazans im Jahre 1954 inszenierten "On the Waterfront" (Titel der deutschen Verleihfassung: "Die Faust im Nacken"). Mit dem Sujet des Films, der mafiagleichen Korruption in den amerikanischen Gewerkschaften, gelang es dem Regisseur und seinem Hauptdarsteller Marlon Brando zum ersten Mal, einen Teil der amerikanischen Realität zum Thema eines Kinofilms zu machen.
Neben aller inhaltlichen und formellen Bedeutsamkeit ist es zunächst einmal die Geschichte des ehemaligen Boxers Terry Malloy, welcher von Brando einzigartig als unbeholfenes, in seinen geistigen Fähigkeiten eingeschränktes Kraftpaket dargestellt wird. Er gehört zu den Handlangern einer kriminellen Hafenarbeitergewerkschaft, die jede Bedrohung ihrer korrupten Herrschaft mit Terror, gegebenenfalls sogar mit Mord ahnden. Dies wird gleich zu Beginn des Filmes deutlich, als Brando einen Freund, welcher gegen die Machenschaften aussagen will, mit einem Trick aufs Dach lockt, von wo ihn die Gewerkschafter in den sicheren Tod stürzen. In Malloy, der sich in dem Gauben sah, seinem Kumpel solle nur ein Denkzettel verpasst werden, erwachen Schuldgefühle. Diese werden noch intensiviert, als er sich in die Schwester des Ermordeten verliebt.
Zeitgleich redet ein humanitär engagierter Priester (Karl Malden) den Arbeitern ins Gewissen, sich gemeinsam gegen die unmenschlichen Methoden der Gewerkschafter aufzulehnen und ihrer Herrschaft ein Ende zu bereiten. Bestärkt durch das Zusammenspiel der entfachten Liebe zu dem Mädchen und den Worten des Geistlichen entschließt sich Terry, im Zuge eines Gerichtsverfahrens sein Wissen um die kriminelle Energie seiner Bosse und Gönner zu offenbaren. Wohlwissend um die Brisanz seiner anstehenden Aussage, bleibt er seinem Gewissensentschluss treu, auch wenn sich die Gewalt der Gewerkschafter nunmehr gegen ihn selbst richtet.

Betrachtet man den Film, welcher auf der authentischen Dokumentation einer New Yorker Tageszeitung basiert, mit den Sehgewohnheiten der Gegenwart, sind die Gründe für seine nachhaltige Wirkung nicht auf den ersten Blick offensichtlich. Auffallend ist zunächst die Darstellung des Hafenmilieus, welche von einem realistischen Charakterisierungswillen geprägt ist und aufgrund ihrer Ungeschöntheit beinahe dokumentarisch anmutet. Aber auch das Schauspiel der Protagonisten folgt diesem Prinzip: man denke an die Szene, in der Terry mit der Schwester seines ermordeten Freundes eine Kneipe besucht. Brando liefert ein wunderbar nuanciertes Schauspiel ab. Die von ihm zum Leben erweckte Figur gerät in einen Widerspruch zwischen der raubeinigen Boxermentalität und der inneren Wandlung aufgrund der sich entwickelnden Gefühle für das Mädchen. Dieser Konflikt, primär abzulesen in Brandos Gesicht und seiner Gestik, repräsentierte damals eine vollkommen neue Art des Schauspiels.
Dieser realistische Stil ist maßgeblich auf den Regisseur Elia Kazan und sein 1948 gegründetes New York Actors Studio zurückzuführen, aus dem nahezu alle Schauspieler des Films (so auch Karl Malden in der Rolle des Priesters) stammen.
Kazan, der als Sohn griechischer Eltern am 7. September 1909 als Elia Kasanioglus in Anatolien geboren wurde, hat mit seinen künstlerischen Werken und seinem Verständnis von Schauspiel und Charakterzeichnung die Filmmetropole Hollywood für alle Zeit beeinflusst. Er führte die Einflüsse des italienischen Neorealismus und das Prinzip des "method acting" eines Lee Strassberg zu einer eigenwilligen Symbiose, ohne die der kometenhafte Aufstieg und fortdauernde Erfolg eines Marlon Brando oder eines James Dean nur schwer vorstellbar erscheint.
Die Kritiker standen diesem neuen Stil zunächst ablehnend, bestenfalls kritisch gegenüber. Die einhellige Meinung war die, dass niemand ins Kino gehen wolle, um jemanden zu sehen, den man im Nachbarshaus so auch sehen könne. Aus der privilegierten Kenntnis der weiteren Entwicklung kann die Ansicht der damaligen Skeptiker als schlichtweg falsch beurteilt werden. Zurückblickend sind die Filme von Sydney Lumet, John Cassavetes, Arthur Penn, Martin Scorcese oder Woody Allen ohne Kazans Pionierarbeit beinahe unmöglich.
Trotz dieser Verdienste genießt der Regisseur in den Vereinigten Staaten heutzutage einen zweifelhaften Ruf, was vor allem an seiner politischen Vergangenheit liegt: In der McCarthy-Ära der fünfziger Jahre und unter dem damals omnipräsenten Feindbild des Kommunismus entwickelte sich ein Klima der organisierten Verdächtigungen. Jeder Künstler, der auch nur in den Verdacht kommunismusfreundlicher Tendenzen geriet, sah sich nicht mehr in der Lage, weiterhin in seinem Metier zu arbeiten. Ob den Anschuldigungen ein Wahrheitsgehalt innewohnte, galt als zweitrangig.
Als Elia Kazan, der bereits als Student mit den Lehren von Marx und Stanislawski konfrontiert wurde, im Jahre 1952 die Namen verschiedener Mitglieder der "Kommunistischen Partei" vor dem McCarthy-Ausschuss für unamerikanische Umtriebe preisgab, wandten sich Freunde, Schauspieler und andere Kreative von ihm ab. In der Künstler-Gemeinde galt seine Tat als Hochverrat.
Ihm selbst wurde durch seine Kooperation die Möglichkeit eröffnet, auch weiterhin in Hollywood zu arbeiten. Die zu diesem Zeitpunkt einsetzende Debatte um die politische Haltung Kazans, die bis heute die Reaktion auf sein Werk mitbestimmt, beeinflusste die Rezeption seiner weiteren Filme, in denen immer wieder nach Spuren der politischen Konfession des Regisseurs gesucht wurde. Viele sahen in "Die Faust im Nacken" und in Brandos Verrat seiner Freunde vor Gericht eine Analogie zu dem Verhalten Kazans. Ein filmischer Versuch einer Rechtfertigung, eine metaphorische Verteidigung der Tat, mit der sein Leben fortan untrennbar verknüpft war - auch auf diese Ebene kann das Werk transponiert werden.
Los gekommen ist Kazan von der Verachtung seiner damaligen Tat nie: Als ihm 1997 der Ehren-Oscar für sein Lebenswerk verliehen wurde, setzte bereits Wochen vor der Preisverleihung eine hitzige Debatte darüber ein, ob dies angesichts seiner damaligen Handlungen gerechtfertigt sei. Unbestritten in seinem enormen künstlerischen Beitrag zur Filmgeschichte, sah sich Kazan bei der Verleihung einem zwiegespaltenen Publikum gegenüber: Viele Prominente im Saal verweigerten dem Preisträger die sonst üblichen Standing Ovations und blieben demonstrativ mit verschränkten Armen sitzen.


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