Der Tintenfisch und der Wal

Originaltitel
The Squid and the Whale
Land
Jahr
2005
Laufzeit
88 min
Genre
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Patrick Wellinski / 16. Juni 2010

Sie gehört wohl zu den schlimmsten Erfahrungen, die eine Familie durchmachen kann: Die Scheidung. Anwälte, Besitzteilung und Sorgerechtverhandlungen gehören dann zum Alltag. Schmerz und Verzweiflung dieser Situation auf eindringliche Weise zu vermitteln, ohne dabei jedes sich bietende Klischee zu bedienen (wie damals "Kramer gegen Kramer"), das gelingt dem Regisseur und Drehbuchautor Noah Baumbach mit "Der Tintenfisch und der Wal" nahezu reibungslos und überzeugend.

Die Familie, die im Mittelpunkt der Geschichte steht, sind die Berkmans. Vater Bernard (Jeff Daniels) war lange Zeit ein äußerst erfolgreicher Schriftsteller und ist jetzt auf der Suche nach seinem zweiten Durchbruch. Seine Frau Joan (Laura Linney) hat erst kürzlich eine Kurzgeschichte im New Yorker veröffentlicht und gilt hinter vorgehaltener Hand als eines der vielversprechendsten Autorentalente. An genau dieser Karrierediskrepanz zerbricht die Ehe der beiden. Bernard sieht keine Möglichkeit mehr, bei seiner Familie zu wohnen, wenn seine Frau erfolgreicher ist als er. Unschuldige Zuschauer in diesem Streit sind die beiden Söhne Walt (Jesse Eisenstein), 16, und Frank (Owen Kline), 12. Sie werden mit ihrer wirren und konfusen Gefühlswelt allein gelassen. Wir befinden uns im New York von 1986 ...

Noah Baumbach hat einen offenen und warmen Film voller Wahrheit und lakonischem Witz kreiert. Er hat mit dem Drehbuch eigene Kindheitserinnerungen verarbeitet und wurde für diesen mutigen Schritt sogar mit einer Oscar-Nominierung belohnt. Diese persönlichen Erfahrungen sind es auch, die dem Film während der ganzen Laufzeit die nötige eindringliche Authentizität geben. Zudem gelingt es Baumbach und seinem Kameramann Robert D. Yeoman, mit ihren 16-Millimeter-Bildern die Atmosphäre der 80er Jahre perfekt einzufangen. Die für ihre Rollen für den Golden Globe nominierten Daniels und Linney unterstreichen mal wieder, dass sie zu den ganz großen Charakterdarstellern Hollywoods gehören. In dem Minimalismus ihrer Körpersprache hinterfragen sie den Wert und den Sinn der Ehe nicht nur in den egozentrischen 80ern, sondern auch weit darüber hinaus.

Doch die wahren Stars des Films sind die beiden Söhne. Beide müssen sich einem äußerst skurrilen Sorgerechtsplan ihrer Eltern unterordnen. Der pubertierende Walt ist ganz seinem hilflosen Liebesleben überlassen. Sein Vater ist ihm in dieser Hinsicht leider kein all zu gutes Beispiel, und Walt passt sich schnell den Gewohnheiten seines Daddys an. Frank ist lieber in der Obhut seiner Mutter und geht weiter tapfer zu seinen Tennisstunden - selbst dann noch, als Joan eine Affäre mit seinem Tennislehrer anfängt. Die Scheidung verarbeitet er, indem er anfängt zu fluchen, und das macht er streckenweise so beeindruckend, dass er Ozzy Osbourne Konkurrenz machen könnte.

Es ist eine große Stärke des Films, dass man mitverfolgen kann, wie sich die Kinder in dem psychisch belastenden Prozess der Scheidung entwickeln. Wenn Walt sich in eine Studentin seines Vaters verliebt oder einen Song von Pink Floyd bei einer Schulveranstaltung als seinen eigenen ausgibt, spürt man plötzlich auf eine ganz eigenartige Weise die Verlorenheit, die in ihm herrscht.
So ist der Film eine unglaublich bewegende Studie voller witziger aber auch tieftrauriger Momente. Dem Regisseur gelingt es mit einem eindringlichen Blick, die intime und für uns meist verborgene Gefühlswelt der Betroffenen einzufangen. Die fragmentarische Erzählweise verleiht dem verblüffend zarten Film eine erstaunliche Anmut und Schönheit, und auf großartige Art zeigt "Der Tintenfisch und der Wal", dass es viel mehr bedeutet, eine Familie zu sein, als nur zusammen zu wohnen.

 

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