Der menschliche Makel

Originaltitel
The Human Stain
Land
Jahr
2003
Laufzeit
108 min
Genre
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Frank-Michael Helmke / 21. Juni 2010

Was ist eine gute Literaturverfilmung? Dies ist ein bei Filmfanatikern immer wieder gern debattiertes Thema, denn das Pauschal-Urteil "Das Buch war besser" ist zwar allgegenwärtig, will aber auch näher analysiert werden. Also, was ist eine gute Literaturverfilmung? Eine Adaption, die der Vorlage in möglichst allen Belangen gerecht wird (was, angesichts der naturgemäß höheren Komplexität eines Romanplots fast ein Ding der Unmöglichkeit ist)? Eine Film-Version, die für sich genommen interessant und unterhaltsam ist, dabei die Vorlage aber eher als kreativen Steinbruch denn als sklavisch abzufilmende Plot-Blaupause behandelt? Oder liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen?

Es sind Filme wie "Der menschliche Makel", die diese Debatte zumindest im Kopf eines Rezensenten immer wieder auflodern lassen, denn diese Verfilmung des jüngsten Romans von Philip Roth - ein seit Jahrzehnten ebenso angesehener wie umstrittener jüdisch-amerikanischer Autor - ist gleichzeitig eine hervorragende Literaturadaption und ein filmdramaturgisches Debakel. Beinahe sämtliche Aspekte der hochkomplexen Vorlage berücksichtigend gibt sich "Der menschliche Makel" alle Mühe, dem Buch so gerecht wie möglich zu werden, verliert darüber indes die Tatsache aus den Augen, dass ein Kinofilm nach einer wesentlich simpleren Drei-Akt-Dramaturgie funktioniert und so etwas wie eine erkennbare Spannungskurve braucht. Beides fehlt hier leider größtenteils.
Man hat sich aber auch wahrlich keinen Gefallen damit getan, ausgerechnet dieses Buch adaptieren zu wollen: Zeitlich angesiedelt in der vollen Blüte des Clinton-Lewinsky-Skandals, ist "Der menschliche Makel" zunächst einmal eine bitterironische Abhandlung über die verlogene amerikanische "Holier than thou"-Moralattitüde zu einer Zeit, in der man Political Correctness nicht groß genug schreiben konnte. Zentraler Charakter ist der verdiente jüdische Literaturprofessor Coleman Silk (Anthony Hopkins), der in einem seiner Seminare zum wiederholten Male die Abwesenheit zweier Studenten feststellt und darum flapsig die Kommilitonen fragt: "Do they actually exist, or are they spooks?". "Spooks", Geister eben, doch umgangssprachlich ist "spooks" auch eine abfällige Bezeichnung für Schwarze, und da es sich bei den beiden abwesenden Studenten tatsächlich um Afro-Amerikaner handelt, beginnt hier eine Hexenjagd gegen den angeblich rassistischen Silk, die in seiner Entlassung endet. Eine zutiefst ironische Wandlung der Ereignisse, denn Coleman Silk ist selbst ein Afro-Amerikaner: Mit einer sehr hellen Hauttönung geboren, gab er sich - wie viele Schwarze in der Mitte des 20. Jahrhunderts - als Weißer aus, um bessere Karrierechancen zu haben, und verschwieg seine wahre Identität selbst seiner eigenen Ehefrau bis zu deren Tod. Nun am unrühmlichen Ende seiner Karriere angekommen, sucht er den Autor Nathan Zuckerman (Gary Sinise) auf, um diesem quasi seine Memoiren zu diktieren, und beginnt gleichzeitig eine Affäre mit der Putzfrau und Melkerin Faunia Farley (Nicole Kidman), der immer noch von ihrem gewalttätigen und durch den Vietnamkrieg traumatisierten Ehemann Lester (Ed Harris) bedroht wird.

Gesellschaftliche Moral, ethnische Minderheitenkonflikte und -vorurteile, Universitätsmachtkämpfe, Lebenserinnerungen und -beichte, Vietnam, letzte Leidenschaften - "Der menschliche Makel" ist nicht gerade arm an komplexen Themen, wobei die Filmadaption die Vorgabe des Romans bereits deutlich gesund schrumpft. Silks Niedergang in der Uni-Hierarchie wird in einer schnellen Einleitung abgehandelt und ist so mehr gegebene Ausgangssituation als dramatische Entwicklung, Lesters Vietnam-Trauma wird nur am Rande erwähnt, und die im Buch in fast schon pornographischen Details (und ergo als besonders unanständig) beschriebene sexuelle Beziehung zwischen Silk und Faunia ist auch "nur noch" eine ganz normale Affäre.
Trotzdem ist das alles immer noch viel zu viel für einen einzigen Film. Schon von vornherein zu introspektiv und komplex, um eine befriedigende Filmhandlung abzugeben, wird die Lebens- und Leidensgeschichte von Coleman Silk hier in bedächtiger Form erzählt, die sicherlich zum klirrend-kalten Wetter des Handlungsortes in Neu-England passt. So richtig in Bewegung mag man bei solchen Temperaturen aber auch nicht kommen, und so bewegt sich auch "Der menschliche Makel" eine ganze Zeit lang auf der Stelle, zu sehr damit beschäftigt, keinen seiner vielen Fäden aus der Hand zu verlieren. In seinem Bestreben, allen Aspekten der Vorlage möglichst gerecht zu werden, steht sich der Film als Film letztlich selber im Weg, und erzählt eine Geschichte, von der selbst der unbelesene Zuschauer am Ende sagen wird: Das Buch war garantiert besser. Da es schlichtweg an Zeit fehlt, werden zwar alle Dilemmata angerissen und erläutert, wirklich durchgefochten wird aber kaum eines - bis auf die rühmliche Ausnahme von Silks Jugend, in der er nach und nach seine Familie enttäuschte und seine Herkunft verriet. Dieser in extensiven Rückblenden erzählte Part zählt zu den gelungensten des ganzen Films, stellt aber auch den größten Bruch dar: Im Prinzip "nur" Exposition für Silks Charakter drängt sich dieser Subplot immer wieder in die eigentliche Handlung um Silk und Faunia, die deshalb wiederum nie so recht in Gang kommt.

So hilft auch eine ganze Bande hervorragend aufspielender Akteure leider nichts, wenn der Spannungsbogen einer Sinus-Kurve gleicht und der Respekt vor der Vorlage letztlich der Verfilmung mehr schadet als nutzt. Paradebeispiel ist hierfür die Figur des Nathan Zuckerman, als wiederkehrender Charakter das Alter Ego des Autoren in vielen Romanen von Philip Roth, für den Filmplot allerdings nur bedingt nützlich. Da für seine eigene Geschichte ohnehin zu wenig Zeit bleibt, fungiert Zuckerman hier lediglich als emsiger Off-Erzähler, und wirkt so eher als Statist in Silks Lebenswerk denn als Figur von Relevanz. Die selbstreflexive Note, für die Zuckeman in Roths Romanen zuständig ist, lässt sich weder vernünftig in den Film übertragen noch ist sie dort von Nutzen.

Ein Urteil, das sich in ähnlicher Form auf den gesamten Film anwenden lässt: Eine in allen Ansätzen überaus werkgetreue Umsetzung, die jedoch nirgends die Tiefe der Vorlage erreicht, aber in genau diesem Bestreben schlussendlich die eigene Dramaturgie als Film ruiniert. Womit die Frage nach der guten Literaturverfilmung wieder einmal zweischneidig zu beantworten ist: Für Kenner und Fans der Vorlage ist "Der menschliche Makel" eine gelungene Bebilderung des Romans mit hohem Wiedererkennungswert, so dass er als reine Adaption durchaus gelungen ist. Für Nicht-Kenner von Roths Buch bleibt jedoch ein Film als Film, und als solcher ist "Der menschliche Makel" ohne klare Linie und somit nicht überzeugend.

Bilder: Copyright

8
8/10

Ich ahbe den Film vor kurzem das erste Mal gesehen. Als Nicole Kidman Fan war ich von der als Hauptrolle angegebenen, aber sehr ,wie ich finde hintergründigen Rolle ihrer etwas enttäuscht. Der Film ist schwer zu strukturieren, wenn man das Buch nicht kennt und ich finde Nicole hat schon bessere Rollen gespielt, aber im großen und ganzen ist er recht gut gelungen.

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wenn man die sprache der autoren kennen würde, würde man nicht ständig "off-Erzähler" sagen, denn das verwirrt, da Autoren eher den Begriff "Voiceover" verwenden und Off nur im Sinne von Off-Screen, also Personen die im Film außerhalb der Kamera agieren...

Diese allgemeine verbrämende Sprache von Hobbykritikern lässt somit falsche Termini entstehen, was sehr nervt.

Lieber mit normalen Worten schreiben, und nicht dem was man so mal gehört hat.

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