Der Junge im gestreiften Pyjama

Originaltitel
The boy in the striped pyjamas
Land
Jahr
2008
Laufzeit
94 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
5
5/10
von Frank-Michael Helmke / 11. Juni 2010

"Der Junge im gestreiften Pyjama" ist ein Holocaust-Film. Eine ganze Reihe Zuschauer wird hierzulande allein das schon gelangweilt abwinken lassen, denn die (zu begrüßende) komplette Aufarbeitung des Holocaust in der deutschen Erziehung, Wissenschaft und Gesellschaft plus einhergehender Masse an Filmen zu diesem Thema provoziert bei vielen inzwischen eine verständliche "Nicht schon wieder…"-Reaktion. In der Tat ist es schwer, diesem Thema erzählerisch noch frische Facetten abzugewinnen. Einer, der er es ziemlich erfolgreich versuchte, war der Romanautor John Boyne, der die unbegreifliche Erfahrung des Holocaust aus der Perspektive eines achtjährigen deutschen Jungen schilderte. Dasselbe versucht nun auch die Filmadaption seines Buchs zu tun, allerdings mit definitiv ambivalentem Ergebnis. Denn gut 90 Minuten steht sich "Der Junge im gestreiften Pyjama" mit seinen erzählerischen Konstruktionen und Vereinfachungen selbst im Weg, so dass man den Film kaum für voll nehmen kann, um dann wiederum in einem Finale zu gipfeln, das derart gnadenlos und brutal auch und vor allem gegenüber dem Zuschauer ist, dass man sich hier fast im falschen Film wähnt.

Das hat natürlich alles System und Absicht, einzig bleibt die Frage: Wen will man mit diesem Film eigentlich erreichen? Der Anfang ist langsam, die Idylle trügerisch: Der achtjährige Bruno (Asa Butterfield) muss aus der heimischen Großstadt wegziehen, weil sein Vater, ein Offizier, auf einen neuen Posten auf dem Land versetzt wurde. Dass ihr neues Haus sich nicht nur wie ein Betongefängnis anfühlt, sondern auch so aussieht, stört Bruno zunächst nicht so sehr wie die Tatsache, dass er überhaupt keine Spielkameraden hat. Nach einer Weile entdeckt Bruno eine nahe gelegene "Farm", auf der scheinbar sehr viele "Bauern" leben, die alle in gestreiften Pyjamas gekleidet sind. Warum diese Farm von Stacheldraht eingezäunt ist und was es wirklich damit auf sich hat, begreift Bruno nicht. Auch nicht, als er zufällig durch den Zaun hindurch Freundschaft mit dem gleichaltrigen Jungen Shmuel (Jack Scanlon) schließt, und ihm so langsam dämmert, dass das weder Bauern sind, noch eine Farm, die sich da am Horizont abzeichnet.

Klar: Die "Farm" ist ein Konzentrationslager, Brunos Vater der neue Kommandant, die "Bauern" gefangene Juden, deren systematische Tötung nur eine Frage der Zeit ist. Soviel ist klar, auch wenn zwei unheilschwangere Schornsteine über pittoresken Baumwipfeln bis ganz kurz vor Schluss das einzige sind, was man hier vom tatsächlichen KZ sieht. Was wiederum ein echter Stolperstein für den Film ist, denn um hier mit der Handlung mitzugehen, muss man zwei sich sehr stark aufdrängende Fragen konsequent ignorieren. Erstens: Warum merkt Brunos Mutter, die am Anfang noch einen riesigen Aufstand darum macht, dass ihr Sohnemann sich nicht zu weit vom Haus weg bewegen soll, im weiteren Verlauf überhaupt nichts davon, dass besagter Sohn tagtäglich stundenlang verschwindet? Und zweitens: Was ist das für ein Konzentrationslager, in dem sich ein gefangener Junge jeden Tag stundenlang hinter einen notdürftigen Haufen Schrott direkt am Lagerzaun verkrümeln kann, ohne dass jemals auch nur ein einziger Wärter vorbeischaut?
Dass Bruno und Shmuel ihre Freundschaft überhaupt gänzlich ungestört und unbemerkt bis kurz vor Filmschluss entwickeln können, ist angesichts der Umgebung, in der sie sich befinden, derart unglaubwürdig und zurechtkonstruiert, dass man die gesamte Geschichte nicht mehr so richtig ernst nehmen mag. Auch und vor allem, weil dies eine Zurechtbiegung auf den offensichtlich beabsichtigen Effekt hin ist: Solange niemand Bruno und Shmuel zusammen entdeckt, gibt es auch keine dramatische Zuspitzung, kann es sich die Erzählung erlauben, ihren jungen Helden weiterhin in absoluter Ahnungslosigkeit zu behaupten über das, was hinter dem Zaun tatsächlich vor sich geht. Und nur so wird das - gerade im Kontrast zum restlichen, fast schon banal erscheinenden Film - grausam-erbarmungslose Ende überhaupt erst möglich. Dem gelingt es zwar, den Zuschauer in sprachlosem Schock in seinem Sitz festzunageln. Aber eben auch nur für den Preis, ihn 90 Minuten lang bewusst eingelullt zu haben in einer geradezu harmlos erscheinenden Holocaust-Geschichte.

Resultat davon ist auch, dass man sich bis zum angesprochenen, markerschütternden Finale fast konsequent langweilt. Die Beziehung zwischen Bruno und Shmuel hat kaum Progression, die der Geschichte immanente Notwendigkeit, dass Bruno die Hinweise um ihn herum, was wirklich vor sich geht, nicht zu deuten weiß, verhindern ein echtes Spannungsmoment. Stattdessen soll sich der Zuschauer wohl ein Stück weit mit Brunos Mutter identifizieren, was aber nicht wirklich klappt, weil diese sich als rechtschaffene Moralinstanz begreift, die ihrem Mann massig Vorwürfe macht aufgrund der Untaten, die er in seinem gutbürgerlichen Pflichtbewusstsein begeht (um die gehobene soziale Klasse dieser Familie darzustellen und deutlich zu machen, dass es sich hier eben nicht um typisch tumbe Deutsche handelt, sprechen alle Darsteller in der Originalversion übrigens sauberstes Aristokraten-Englisch). In ihrem angeblichen Bemühen, das Grauen direkt vor ihrer Haustür von den eigenen Kindern weg zu halten, scheitert die Frau Mutter allerdings kolossal in dem Sinne, dass sie es nicht mal richtig versucht - oder zumindest sieht man davon nichts. Lieber guckt sie ihren Mann vorwurfsvoll an als selbst einzugreifen, wenn ein SS-Mann direkt vor den Augen ihrer Kinder einen Lagerhäftling zusammenschlägt.

"Der Junge im gestreiften Pyjama" ist ein Film, der sich selbst für unheimlich wichtig hält, und in manchen, elegant erzählten Momenten auch an die Klasse heran reicht, in der er sich selbst allzu deutlich sieht. Letztendlich bleibt die Geschichte jedoch zu holprig, als dass man wirklich mitgehen könnte, und das Ganze zu offensichtlich auf den großen Schluss-Schock hinkonstruiert, dass sich am Ende sogar nachhaltig die Frage aufwirft: Für wen ist dieser Film überhaupt gemacht worden? Für 90 Minuten nimmt er sich aus, als wolle er Kinder behutsam an das Thema Holocaust heranführen (was von vornherein schon keine gute Idee ist - wie der Film selbst zeigt, können Kinder dieses Gräuel weder begreifen, noch sollten sie überhaupt damit konfrontiert werden), und langweilt sein erwachsenes Publikum mit der einhergehenden Naivität und erzählerischen Vereinfachung. Die letzten Minuten sind jedoch so grausam, dass man sie nicht einmal einem 14-jährigen zeigen sollte. Und wenn man sich dann aus der Schockstarre des Finales gelöst hat, drängt sich dann eben doch - trotz Holocaust-Thematik - die gnadenlose Frage auf: Wen soll dieser Film noch interessieren?


Interessante und treffende Kritik. Allein die Frage bleibt: warum dann trotzdem 5 von 10 Augen? Weil man Shoafilmen kein magereres Ergebnis zumuten kann/darf?

Ich selbst habe den Film nicht gesehen, nur dass Buch im Original gelesen und mich schrecklich geaergert: nicht nur ist die Perspektive unsagbar naiv (und dass ist ja Stilmittel, ueber dessen Wirksamkeit man sich uneins sein kann), allerdings ist der Roman auch im hoechsten Masse unhistorisch.

Warum ein kleiner Junge sich in stundenlang am Zaun aufhalten kann? Weil sich dass Autor Boyne so zurechtgesponnen hat! Wie Benjamin Blech richtigerweise festgestellt hat, sind in den deutschen Vernichtungslagern keine Kinder rumgerannt. Wer nicht arbeiten konnte wurde getoetet. Und zwar schnell, schliesslich sollte die "Endloesung der Judenfrage" doch bitte flott ueber die Buehne gehen...

"Der junge im gestreiften Pyjama" ist eine weitere Geschichte, die das Thema Holocaust aufnimmt um eine grausige Geschichte zu erzaehlen, die nicht auf Fakten beruht. Als ob die Shoa an sich kein Ereignis waere, dass schrecklich genug ist, meint auch x-beliebige Produzent von Fiktion, sich daran bedienen zu koennen wie es ihm passt. Ich finde diese Art von Holocaustporn dabei weitaus geschmackloser als Dinge wie "Inglorious Basterds" oder "Werewolf women of the SS", den diese tun wenigstens nicht so als ob sie etwas anderes waeren als krude Fiktion. "The boy in the striped pyjamas" allerdings schreibt die Geschichte um, und so etwas ist nicht nur daemlich, es ist auch leichtsinnig. Das Gegenteil von "gut gemacht" ist eben noch immer "gut gemeint".

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8
8/10

Ich für meinen Teil finde diesen Film mehr als nur genial, leider kenne ich das Buch nicht, was ich allerdings auch ändern werde.

Jeder, der alt genug ist zu verstehen, was die Nazis mit den Juden gemacht haben, der WEIß auch, dass es niemals möglich war eine Freundschaft am KZ-Zaun zwischen zwei kleinen Jungs zu entwickeln. Trotzdem gibt es diese Freundschaft in dem Buch. Nur weil der Film ein Drama ist, heißt es noch lange nicht, dass er hätte Realität sein müssen. Ich frage mich grade, wenn der Herr Stake den Film "Der seltsame Fall des Benjamin Button" rezensiert hätte, ob der dann auch, wegen mangelndem Realismus nur 5 Punkte bekommen hätte...

Es geht hier um viel mehr, als um die Realität. Nur der Gedanke, das soetwas tatsächlich hätte passieren können bringt mich zum erschaudern.

Eine anscheinend liebenswerte Familie zieht aus einem wunderschönen Haus in einen "Wald mit einem Betonklotz". Dieser soll das neue Heim der Familie werden. Der scheinbar liebevolle Vater, wird Kommandant eines Konzentrationslagers. Sein Sohn Bruno sieht dieses aus seinem Fenster und wundert sich darüber, dass alle Bauern scheinbar in einem Pyjama den ganzen Tag umherlaufen. Bruno freundet sich mit einem "Bauernkind" an, weil er sein zu Hause, seine Freunde vermisst, er will Kontakt zu anderen Kindern und als ihm dies durch die Anwesenheit eines Hauslehrers verwehrt wird, sucht er andere Möglichkeiten.

Die Absurdität des Filmes, aus Sicht eines Kindes, wessen Leben mit der Realität zerstört wird. Wie die "Bauern" auf Bruno wirken, wie seine Schwester sich entwickelt, wie sie unterrichtet sozusagen getrimmt werden. So kann es doch tatsächlich gewesen sein. Ob es nun eine wahre Geschichte ist, oder eine Erfindung ist doch dahergestellt.

Die Mutter, ehrenwerter Herr Helmke, hat keine Chance einzugreifen. Wie Sie vielleicht mitbekommen haben, so gehen in diesem Haus Nazis ein und aus. Da soll die Mutter sich gegen die Nazis stellen und sagen, dass man Juden nicht so behandeln darf? Damit sie direkt mit in das Konzentrationslager gesteckt wird, weil sie Juden nicht hasst. Sie bekommt ja erst im Laufe des Films (wenn man sich diesen genauer ansieht, merkt man auch, dass das Entsetzen der Frau immer weiter zunimmt) mit, was genau mit den Juden gemacht wird. Sie zieht sich immer weiter zurück, sie liebt ihren Mann aber versteht nicht, warum er soetwas gutheißt. Deshalb hat sie auch keinen Blick für ihre Kinder, zu spät bekommt sie mit, was aus ihrer Tochter geworden ist und wo sich ihr Sohn die meiste Zeit aufhielt.

Das Drama an sich ist, dass ein Kind wie Bruno, mit seiner jungen Naivität (man denkt oft "Schön wär's!"), einfach nichts schlechtes in der Welt sieht. Darum ist es eben ein Bauernhof mit Bauern, die arbeiten und kein Konzentrationslager in denen die Juden gehalten werden wie Tiere. Zu Juden bildet er sich seine eigene Meinung, er versucht sich auch zu äußern, aber er wird von allen unterdrückt. Eben weil er in einer Welt aufwächst, die Juden verabscheut, zumindest scheint es so. Bei seiner Schwester geht das Prinzip auf, allerdings eher wegen einer dummen Verliebtheit.

Fazit:
Der Film wird jeden den er schaut (wenn er auch nur ein bisschen Fantasie hat Herr Helmke) in den Bann ziehen.

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9
9/10

Wen dieser Film interessieren soll?
Nunja, mich zum Beispiel.
In keinem Moment habe ich mich gelangweilt, ehrlich gesagt finde ich den Konflikt, der zwischen Frau und Mann nach und nach entsteht, und auch bei den Kindern sichtbar wird (Abenteuergeschichten vs. NS-Dreck) glaubwürdig genug, um dem Film seine Existenzberechtigung nicht nur zuzusprechen, sondern ihn auch zu einem Must-See zu erklären.

Das Ende ist - das stimmt - extrem grausam; aber es ist das mit Abstand beste Ende das dieser Film hätte haben können, in Anbetracht der Tätigkeit des Vaters.

Letztlich muss ich noch sagen, dass ich die Filmrezension die hier von Ihnen kommt etwas befremdlich finde. Dass SIE von Holocaust-Filmen gelangweilt sind, ist nicht das Problem des Zuschauers; auch die zum Teil völlig unbegründete Kritik die hier breitgetreten wird, kann meine Zustimmung nicht finden.

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10
10/10

Ich habe jetzt mehre Kritiken im Internet gelesen und bin richtig wütend darüber.
Nicht eine dieser besagten Kritiken hat verstanden worum es in diesem Film geht. Sunny kommt mit ihrem Kommentar der Wahrheit schon ein ganzes Stück näher.

Zu aller erst einmal ist diese Geschichte für den Autor allgegenwärtig, "If you start to read this book, sooner or later you will arrive at a fence. Fences like this exist all over the world. We hope you never have to encounter such a fence"
Die Geschichte bezieht sich zwar auf die Nazizeit doch die Aussage dieses Buches geht über die Nazizeit weit hinaus. Sie soll den Menschen die Augen öffnen, dass sie nicht in Grenzen denken sollen und offen für die Welt werden. Man soll die Augen vor der Welt nicht verschließen, sondern sie hinterfragen und auf sie reagieren.

Und um dies zu verdeutlichen handelt seine Geschichte von der Nazizeit, von jener Zeit, die jeder kennen sollte.
Er braucht nicht viel um die Geschichte aufzubauen weil jeder weiß wie es damals war. Damit kann er sich voll und ganz auf das wesentliche beschränkten: die Naivität der Kinder und der Erwachsenen, die ihre Augen verschließen, die Fähigkeit eines Menschen ein Großteil des Volkes zu manipulieren, Menschen die die Welt hinterfragen und zur guter letzt Menschen die hörig sind.
Mit all diesen Menschen beschäftigt sich das Buch und diese existieren noch heute und auch in Zukunft.

Daher bin ich der Meinung, dass nur der derjenige dieses Buch und den Film verstehen kann, der nicht in Grenzen denkt und das tun leider immer noch zu viele und deswegen haben all die, die eine schlechte Kritik diesem Film gegeben haben ihre Augen auch nicht offen sonder nur halb offen.
Um den Autor und seine Intention zu verstehen muss man der Welt gegenüber offen sein und vor allem die Menschen verstehen, doch das tut ihr nicht!

Danke Sunny, danke Tageslicht, dass es noch solche Menschen wie euch gibt!

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