The Death of Stalin

Originaltitel
The Death of Stalin
Jahr
2017
Laufzeit
107 min
Genre
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Frank-Michael Helmke / 24. März 2018

Mit Stalin ist das so eine Sache. Unter Historikern gibt es eine durchaus berechtigte Debatte darüber, ob Hitler eigentlich wirklich der schlimmste Diktator des 20. Jahrhunderts war, oder ob dieser Titel eigentlich Stalin gebührt, der mit den von seiner Wirtschaftspolitik verursachten Hungersnöten im eigenen Land und seinem System von Straflagern für die Opfer der regelmäßigen "politischen Säuberungen" Abermillionen Leben auf dem Gewissen hat. Andererseits ist Stalin in seiner Heimat als Besieger von Nazi-Deutschland und der damit einhergehenden Etablierung der damals noch jungen Sowjetunion als Weltmacht immer noch eine mythische Gestalt, und je nach innenpolitischer Wetterlage variierte seit seinem Tod die öffentliche Einstellung zu seinem Andenken, auch abhängig davon, ob die Quasi-Alleinherrschaft eines kultisch verehrten Anführers gerade als gute oder schlechte Sache betrachtet wird. The Death of StalinVon daher ist es wenig verwunderlich, dass in Putins Russland die Verehrung Stalins gerade mal wieder sehr en vogue ist, und der neue Film von Armando Iannucci dort postwendend verboten wurde - vornehmlich deswegen, weil er unter anderem zeigt, wie Stalin sich infolge des Schlaganfalls, der ihn schließlich umbrachte, selbst eingenässt hat. So etwas fällt dann quasi unter Gotteslästerung.

Dabei geht es in "The Death of Stalin" eigentlich gar nicht um den Diktator selbst, sondern eben um seinen titelgebenden Tod und die Folgen davon, nämlich: Der Machtkampf unter den Mitgliedern des Zentralkomitees, die umgehend begannen, sich für Stalins Nachfolge an der Spitze des Staates in Position zu bringen. Die zentralen Akteure sind hier Lavrenti Beria (Simon Russell Beale), Kopf der Geheimpolizei und damit ausführende Gewalt der zahllosen willkürlichen politischen Exekutionen; Georgy Malenkow (Jeffrey Tambor), Stalins offizieller Stellvertreter; der Parteichef Nikita Chruschtschow (Steve Buscemi) und der amtierende Außenminister Wjatscheslaw Molotow (Michael Palin). Zwischen diesen Vieren entbrennt - kaum, dass die Leiche des bisherigen Staatschefs kalt ist - ein wendungsreicher und rücksichtsloser Machtkampf, mit allen hinterhältigen und intriganten Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen.

The Death of StalinRegisseur und Autor Armando Iannucci ist vor allem bekannt als kreativer Kopf hinter der mehrfach preisgekrönten, satirischen Polit-Comedyserie "Veep". Und genau wie er dort seit Jahren mit den Mitteln der Farce die politischen Mechanismen in Washington auf brüllend komische Weise karikiert und bloßstellt, nimmt er nun eine historische Situation aufs Korn, die von mehr als tödlichem Ernst war. Es ist eine sehr feine Linie, auf der Iannucci sich hier bewegt, denn er läuft permanent Gefahr, die faktische Grausamkeit der damaligen Zeit zu verharmlosen, während er die Verhältnisse und Akteure ins Lächerliche zieht. Dass das nicht passiert, ist Iannuccis große Kunst, denn es gelingt ihm meisterhaft, die eben tatsächliche Absurdität der paranoiden Auswüchse des Stalinismus mit spitzzüngig schwarzem Humor vorzuführen. Kongenial ist in dieser Hinsicht die Eröffnung des Films, in der in einem Moskauer Konzerthaus gerade eine Aufführung zu Ende geht - und der verantwortliche Leiter (Paddy Considine) dann erfährt, dass Stalin gern eine AUfnahme des Konzerts hätte. In (völlig berechtigter) Angst, dass es seinen Tod bedeuten könnte, wenn er nicht liefert und den Diktator damit verärgert, versucht er nun das gerade beendete Konzert noch einmal nachzustellen, auf herrlich absurde Weise. 

Auf ähnliche Art balanciert "The Death of Stalin" auch beim Machtkampf seiner zentralen Akteure immer wieder zwischen absurder Situationskomik, wenn die Figuren sich zum Beispiel in den hohlen Worthülsen winden, mit denen man nach außen hin stets Systemtreue und ideologische Standfestigkeit vorgibt, und dem tödlichen Ernst ihrer Komplotte, deren Skrupellosigkeit überhaupt keinem Ideal folgt außer der eigenen, grenzenlosen Machtsucht. The Death of StalinEs ist ein Spiel grandioser Wendehalsigkeit, das hier vorgeführt wird, und in manchen Momenten ist es reinstes, brillantes Komödien-Gold, das sich da auf der Leinwand abspielt, gleichzeitig unfassbar komisch und endlos entlarvend. Wie bei der ersten offiziellen Sitzung des Zentralkomitees nach Stalins Tod, bei der alle Akteure sich voller Misstrauen belauern und so manche Stellungnahme immer weiter in die Länge gezogen wird, weil jedes einzelne Wort falsch sein könnte und darum ganz genau abgewogen werden muss. 

Das ist Material von enormer Doppelbödigkeit, bei dem jede Figur als eine Karikatur ihrer selbst dargestellt wird, aber auch niemals aus dem Fokus gerät, dass diese Herren allesamt höchst gefährlich sind und der Tod tausender Zivilisten für sie nur ein strategischer Faktor ist, bei dessen Erwägung einzig zählt, ob er dem eigenen Machtstreben hinderlich oder dienlich ist. Hier muss jeder Satz, jede kleinste Gesichtsregung perfekt sitzen, um genau den richtigen Ton zu treffen, und eine der größten Freuden an "The Death of Stalin" ist es, seinen herausragenden Darstellern dabei zuzusehen, wie sie sich in dieses Material hineinackern, mit welcher Präzision sie es zum Leben erwecken und wie gewissenhaft sie die Wahrhaftigkeit hinter der Farce herauskitzeln. Das ist Komödien-Schauspielkunst auf höchstem Niveau.

The Death of StalinDie Tatsache, dass jeder historisch halbwegs bewanderte Zuschauer genau weiß, wer bei diesem Machtspiel am Ende als Sieger hervorgehen wird, nutzt Iannucci dramaturgisch, indem natürlich genau diese Person die meiste Zeit wie der sichere Verlierer aussieht. Und als es dann schließlich zum Showdown kommt, die falschen Masken fallen und erbarmungslos kurzer Prozess gemacht wird, macht der Film wieder alles richtig und lässt in seinen letzten zehn Minuten jede Absurdität, jedes befreiende Lachen verschwinden, während er die zutiefst hässliche, unmenschliche Niedertracht der Situation sehr effektvoll zu Ende spielt. Und damit unterstreicht, wie authentisch er sein Material tatsächlich darstellt: So absurd und lächerlich die Ränkespiele in totalitären Systemen die meiste Zeit wirken, am Ende ist das Resultat einfach nur grausam, rücksichtslos und brutal. 

"The Death of Stalin" ist damit kein Historienfilm im engeren Sinne, sondern eine allgemeine, sehr treffende und entlarvende Betrachtung über die absolute Korrumpiertheit, die in den höchsten Ebenen der Macht in einem autoritären System tatsächlich vorherrscht. Er zeigt, wozu Männer in der Lage sind, wenn sie bei diesem Machtspiel ganz oben mitmischen, und wie Egoismus, Arroganz und Selbstverliebtheit sie letztlich alles verraten lassen, was sie vielleicht einmal an Überzeugung gehabt haben. So gesehen ist ein Stalin, der sich in die Hose macht, noch das Harmloseste, was dieser Film enthüllt. 

Bilder: Copyright

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