Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders

Jahr
2006
Laufzeit
147 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Patrick Wellinski / 3. Juni 2010

Anmerkung: Auch die Filmszene-Redakteure sind manchmal verschiedener Meinung - und manchmal sind sie sogar so überzeugt von ihren jeweiligen Standpunkten, dass wir die Gelegenheit für eine Doppel-Rezension nutzen. Darum zwei Bewertungen, und zwei Rezensionen.

Rezension Patrick Wellinski:

Es war sein Lebenstraum. Bernd Eichinger, seines Zeichens Deutschlands erfolgreichster Film- und Fernsehproduzent, hatte schon vor 20 Jahren versucht, die Rechte an Patrick Süskinds Erfolgsroman "Das Parfum" zu erwerben. Das Erstlingswerk des medienscheuen Autors ist nach Erich Maria Remarques "Im Westen Nichts Neues" der erfolgreichste in deutscher Sprache verfasste Roman der Nachkriegszeit. Mehr als 15 Millionen verkaufte Exemplare, des in 45 Sprachen übersetzten Werkes, das schrie schon kurz nach dem Erscheinen 1985 nach einer Leinwandfassung. Im Jahr 2000 bekam Eichinger dann endlich die Zusage von Süskind, der sich bis dahin nicht überzeugen lassen wollte.
Schnell wurde dem Produzenten bewusst, dass man diesem besonderen Stoff nur mit einer speziellen Akribie und voller Sorgfalt begegnen konnte. Somit wurde mit Tom Tykwer ein seit seinem weltweiten Erfolg mit "Lola rennt" international sehr geachteter Regisseur mit ins Boot geholt, der ein ebenfalls international bekanntes Schauspielensemble dirigieren sollte. Kurzum, das ganze Projekt stinkt nach Erfolg.

Mit Gestank beziehungsweise Geruch sind wir dann auch schon bei der Geschichte dieser für hiesige Verhältnisse fast beispiellosen Big-Budget-Produktion. Im vorrevolutionären Frankreich wird Jean Baptiste Grenoullie (Ben Whishaw) auf einem Fischmarkt unter äußerst kuriosen Umständen zu Welt gebracht. Früh wird ihm bewusst, dass sein stark ausgeprägter Geruchssinn ihm eine Welt öffnet, die für den Rest der Menschen scheinbar nicht existiert. Aus seinem sich immer mehr steigernden Verlangen, alle Gerüche der Welt zu kennen und zu konservieren, erwächst eine mörderische Obsession, die ihn zu einem der gefürchteten Mörder macht. Denn Grenouille stellt fest, dass er den schönsten Geruch der Welt nur von jungen, unschuldigen Mädchen gewinnen kann.

Vor dem Mut der Macher muss man den Hut ziehen. Denn schon mit dem Inhalt der Vorlage wird ein gewaltiges Realisierungsproblem deutlich, dem man sich erstmal stellen muss: Wie schafft man es, eine Geschichte ins Kino zu bringen, die vorrangig in der Welt der Gerüche und Düfte spielt? Umso mehr mussten das Team um Eichinger und Co. ihre Kreativität spielen lassen, und die erfreuliche Nachricht ist: Es ist ihnen im Großen und Ganzen gelungen.
Es fängt mit der äußeren Aufmachung des Films an. Tykwer hat kein lächerliches und überkandideltes Kostümfilmchen gedreht. Das ist ihm sehr hoch anzurechnen. Er ergötzt sich nicht an den Prachtbauten und der Kleiderordnung dieser Epoche, was nur unnötig Zeit stehlen würde und die Geschichte um keinen Deut vorantreibt. Viel mehr begeben wir uns in die stinkenden, dreckigen und versifften Straßen von Paris oder Grasse. Die Menschen haben (wenn überhaupt) verfaulte Zähne, sie laufen in zerrissenen schmutzigen Kleidern durch die Stadt und müssen oft verdorbenes oder verfaultes Fleisch essen. Mit diesen Aufnahmen gelingt es dem "Parfum erstaunlicherweise, die Eindrücke so lebendig zu machen, dass man sich auch ohne das Geruchsempfinden genug ekelt, um sich effektvoll in diese Welt einfühlen zu können.
So wird dank den sehr dichten Kamerabildern eine dunkle, bedrohliche Atmosphäre erschaffen, die nicht zugunsten billiger und aufgesetzter Schockmomente verkauft wird, sondern durch ihre subtile tiefgründige Spannung ein Gefühl des Unwohlseins im Betrachter auslöst; eine Angst oder besser eine Ahnung, die sich zu Beginn des Films im Kopf einnistest und sich während der gesamten Laufzeit nicht wieder legen mag. Eine solch dauerhafte emotionale Wirkung gelingt Blockbustern so gut wie nie.

Bravourös ist auch die dezente und nie aufdringliche Hintergrundmusik, für die Regisseur und Co-Autor Tykwer mit ein paar Freunden selbst sorgte. Ohne die aufdringliche Dominanz zum Beispiel eines Hans Zimmer-Soundtracks ("Fluch der Karibik" u.a.) dient die Musik als gelungene artistische Untermalung für die schattige Ästhetik des Films, für den viele Szenen nur bei Kerzenschein gedreht wurden. Dadurch schafft Tykwer in seinen Bildkompositionen immer wieder dunkle und unscheinbare Räume, in denen die Protagonisten oft nur schemenhaft zu sehen sind.
Tykwer versteht es meisterhaft, den Duft oder den Geruch, der im Plot immer allgegenwärtig ist (ob nun in einer Parfumerie oder in den schier endlos erscheinenden Lavendelfeldern Südfrankreichs), nicht nur visuell erlebbar zu machen. Manchmal sind es auch perfekt inszenierte Kleinigkeiten, wie ein mit Parfum beträufeltes Tuch, das kraftvoll in die Luft geschlagen wird und wie durch eine unsichtbare Hand die ganze Leinwand durchquert. Tykwer nutzt hier geschickt die Methode der Assoziation, vergleichbar etwa mit der Darstellung des Ringes in der "Herr der Ringe"-Trilogie. Wie der Ring bei Peter Jackson quasi ein Eigenleben verspüren ließ, so wird unter Tykwer der Geruch der Düfte allgegenwärtig und dadurch auch "spürbar". Die ihm oft attestierte visionäre Kraft stellt der Regisseur hier ein weiteres Mal eindrucksvoll unter Beweis.

Die Großproduktion ist auch in die kleinste Nebenrolle hervorragend besetzt. Neben einigen vornehmlich von deutschen Schauspielerinnen besetzten weiblichen Rollen (z.B. Jessica Schwarz und Corinna Harfouch) brillieren vor allem zwei große Männer des Darstellerkinos. Zum einen der den meisten Kinogängern als Severus Snape aus der "Harry Potter"-Reihe bekannte Alan Rickman, der hier den reichen Kaufmann Antoine Richis verkörpert, dessen Tochter Laura zum begehrtesten Objekt von Grenouilles mörderischer Jagd wird; als einziger ebenbürtiger Gegner nimmt er den Kampf gegen Jean Baptiste auf. Zum anderen Hollywoodveteran Dustin Hoffman als italienischer Parfumeur Giuseppe Baldini, bei dem Grenouille sein Handwerk lernt. Dabei entwickelt sich ein ähnlich intensives Machtspiel zwischen den beiden wie einst zwischen Salieri und Mozart in "Amadeus". Außerdem besitzen beide (Rickman als auch Hoffman) eine hervorstechende und auffällige Nase, was perfekt die Essenz des Films unterstreicht.
Einzig und allein der Hauptdarsteller Ben Whishaw bleibt ein Fragezeichen. Der bis dato eher auf Theaterbühnen agierende 26-jährige Engländer kann leider nicht völlig überzeugen. Seine schmächtige Statur und sein nettes Gesicht können nicht immer die akute Gefahr ausdrücken, die von einem Mörder ausgehen soll. Zu oft versteckt er sich hinter einem nichtssagenden Blick.
Whishaw scheitert hier aber nicht an mangelndem Talent, er muss sich einem grundsätzlichen Problem geschlagen geben, welches schon in der Romanadaption lauert: Die Geschichte über den Mörder Grenouille wird im Buch ausdrücklich passiv erzählt. Der Hauptcharakter kommt selten bis gar nicht zu Wort. Was in Buchform wunderbar funktioniert, kann in verfilmter Version kaum klappen. Im Kino wird dem Zuschauer eine Figur erst dann wirklich nahe gebracht, wenn sie redet. Wir erschließen sie durch das was sie sagt im gleichen Verhältnis zu dem was sie macht. Ein Ungleichgewicht schwächt die Tiefe einer Figur erheblich. Um diese Schwierigkeit zu bewältigen, benutzt Tykwer vor allem am Anfang einen Off-Erzähler, der oft ganze Passagen romangetreu vorliest und dadurch schon fast den Eindruck eines Hörbuchs mit Bilduntermalung erweckt. Zum Glück lässt diese Technik mit steigender Laufzeit nach.

Auch wenn es Momente gibt, in denen die Dramaturgie aus dem Rahmen springt, ist der Gesamteindruck mehr als nur positiv. Er übertrifft in mancher Hinsicht sogar die meisten Hoffnungen, die man in eine solche überbordende Big-Budget Produktion setzen kann. "Das Parfum" gelingt das Kunststück, den Grundgedanken des Romans in kinogerechte Bilder zu übersetzen, ohne sich der Komplexität der Vorlage zu beugen und sklavisch jede Einzelheit realisieren zu wollen. Tom Tykwer beweist einmal mehr, dass er mit seinem Talent Produktionen jeder Art und Größe sicher bewältigen kann. Und Bernd Eichinger darf sich glücklich schätzen, seinen Lebenstraum doch noch verwirklicht zu haben. Es ist ein Genuss, diesem Traum beiwohnen zu dürfen.




Gegenposition Margarete Semenowicz:

Sehnsüchtig erwarteten viele Leser des gleichnamigen Süskind-Romans von 1985 die Verfilmung, die so lange als undenkbar galt (sogar der Autor weigerte sich ewig, die Filmrechte überhaupt zu verkaufen). Nun ist das Werk endlich fertig und schon die Namen machen neugierig: Da gibt es die feine Riege der angelsächsischen Meister Hoffman und Rickman, die Klasse der deutschen Nachwuchsschauspielerinnen mit Jessica Schwarz und Karoline Herfurth, und auch erfahrene deutsche Semester wie Corinna Harfouch und Otto Sander (als Erzähler) sind vertreten. Tom Tykwer und Bernd Eichinger arbeiteten vereint an der teuersten Produktion der deutschen Filmgeschichte (das Budget lag bei immensen 50 Millionen Euro). Doch was passiert, wenn man Klotzen statt Kleckern kann? Es sieht auch danach aus. Statt ein einheitliches Meisterwerk zu präsentieren, wollten Eichinger und Tykwer zu viel und bekamen es leider auch.

Das fängt schon bei den Bildern an, die Tykwer und seinem Kameramann Frank Griebe fraglos grandios gelungen sind. Es wäre nur besser, wenn sie sich bei ihren großartigen Einstellungen etwas gemäßigt hätten. Zu viele selbstverliebte, endlose Kamerafahrten tragen in ihrer Ausgedehntheit zu dem allgemein schon vorherrschenden Gefühl der Langeweile bei.
Und diese herrscht zuhauf: Die Handlung dümpelt zwischenzeitlich dermaßen langatmig vor sich hin, dass man sich in einer bebilderten Erzählung wähnt und die Stimme des Erzählers bald nicht mehr hören mag, der den undankbaren Part zugeteilt bekommen hat, wortreich das Innenleben des undurchschaubaren Protagonisten zu erläutern. Nach der ersten halben Stunde "Grenouille fühlte..." und "Er merkte..." oder auch "Er spürte…" möchte man gerne weiterspulen. Da hilft es nicht einmal, dass dieser Erzähler Otto Sander ist, der mit seiner wundervollen Stimme schon den Engelsmonologen in Wim Wenders' "Der Himmel über Berlin" Flügel verlieh.

Dann ist da der Hauptdarsteller Wishaw, der zwar immerhin seiner Figur angemessen hässlich daher kommt, aber dafür sein Spiel nicht ganz unter Kontrolle zu haben scheint. Während er die meiste Zeit mit einem gefühllosen Gesichtsausdruck herumläuft, so spielt er in Szenen, die nach Gefühlsregung riechen, so überkandidelt, dass der Zuschauer eher befremdet ist, besonders in der Szene, als der Bursche dem Scharfrichter vorgeführt werden soll und als aristokratischer Hampelmann auf der Holzbühne kraftvoll mit den Armen wedelt.
Auch die sonstige Riege der ausgewählten Schauspieler reißt den Film nicht aus dem Mittelmaß, von denen manche ohnehin nur überaus kurz auftreten (Jessica Schwarz darf als Prostituierte genau eine Szene lang nackt rumzicken, steht dafür aber groß angekündigt auf dem Filmplakat). Dustin Hoffman wiederum scheint im falschen Film zu sein und spielt den alternden Parfumeur Baldini wie eine Auferstehung seiner Figur aus "Tootsie". Das ist zwar witzig, passt jedoch nicht wirklich zu der bis dahin als düster etablierten Grundstimmung des Films.

Solche Gegensätzlichkeiten finden sich auch in anderen Aspekten und tragen dazu bei, dass der Film insgesamt uneinheitlich wirkt. Während sich die Crew sehr viel Mühe mit der Darstellung der stinkenden Schmutzigkeit des damaligen Paris und seiner Bewohner gab, so sind die Menschen in der Orgienszene, in der sich alle ästhetisch befummeln, plötzlich wunderschön, sauber und keinesfalls von Karies, Pickeln oder Narben entstellt. Auch die Sets sind mal großartig, mal befremdlich - besonders die Brücke, auf der Parfumeur Baldinis Haus steht, sieht nach billiger CGI aus.
Auch die Musik ist eher bombastisch angelegt. Die Berliner Philharmoniker geben alles, doch leider wird der Film davon teilweise erdrückt. Auch hier wäre Mäßigung besser gewesen.

Der Aspekt, der für viele diesen Film als unverfilmbar erscheinen ließ, nämlich die filmische Umsetzung von Gerüchen, ist dafür mit extremen Close-Ups von Nasen, Caravaggio-nachempfundener Beleuchtung und den rasanten, an "Lola rennt" erinnernden Kamerafahrten von Geruchsobjekt zu Geruchsobjekt (die tatsächlich die Wahrnehmung entferntester Düfte erfahrbar machen) vorzüglich gelungen. Schließlich liefert der Film auch ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Atmosphäre beim Dreh auf die Leinwand überträgt: Auf dem Fischmarkt (eine der interessantesten Locations des Films) wurden zum Beispiel vor Drehbeginn 2,5 Tonnen Fisch und eine Tonne Fleisch verteilt. Den Schauspielern und Tom Tykwer hat es wohl ziemlich gestunken, doch dadurch entwickelte sich eine Dynamik, die auch den Zuschauer den Duftkosmos einer vergangenen Epoche einmal hautnah erleben lässt.
Tom Tykwer ist es also immerhin gelungen zu leisten, woran vorher am meisten gezweifelt wurde, nämlich filmisch darzustellen, worum es in "Das Parfum" eigentlich geht: Gerüche. Und zumindest davor sollte man den Hut ziehen.

Bilder: Copyright

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