Couscous mit Fisch

Originaltitel
La Graine et le Mulet
Land
Jahr
2007
Laufzeit
151 min
Genre
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Patrick Wellinski / 30. Juni 2010

"Couscous mit Fisch" ist eine Familiengeschichte. Es ist eine erstaunliche Momentaufnahme einer arabischen Großfamilie, die in Frankreich beheimatet ist. Der Film ist ein exaktes und in ruhig beobachtenden Bildern gefasstes Porträt familiärer Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen. Abdellatif Kechiches dritter Spielfilm ist aber auch ein herzerwärmender Blick in den alles andere als leicht zu bewältigenden Alltag arabischer Migranten im heutigen Frankreich.

Im Mittelpunkt der Erzählung steht Slimane Beiji (Habib Boufares). Slimane ist 63 und mit der schweren Hafenarbeit sichtlich überfordert. Auch wenn er selber dies nicht zugeben würde. Doch all seine temperamentvollen Einsprüche nützen nichts - Slimane wird entlassen. Aber auch ohne diese Hiobsbotschaft hängt daheim der Haussegen schief. Slimane ist geschieden und lebt jetzt mit einer anderen Frau und ihrer pubertierender Tochter Rym (Hafsia Herzi) zusammen. Mit seiner ersten Frau hat Slimane (allein schon wegen der gemeinsamen fünf Kinder) aber noch Kontakt, was seine neue Verehrerin alles andere als gut findet. Auch seine erwachsenen Kinder stehen der neuen Beziehung ihres Vaters mit großer Skepsis gegenüber, doch einige von ihnen haben ihre eignen, nicht minder komplizierten und vertrackten Probleme. Alle hier einzeln aufzuzählen würde den Rahmen sprengen. Das Spektrum der Beziehungsproblematiken reicht jedenfalls von kleinen Eifersüchteleien über Arbeitslosigkeit bis hin zum Ehebruch. Aber Slimane bringt seine Familie noch einmal zusammen. Von seiner Abfindung kauft er ein Boot und möchte dort ein Restaurant eröffnen. Der Familienbetrieb soll sein Erbe sein.

Abdellatif Kechiche darf man ohne Scheu als französisches Pendant zum deutsch-türkischen Regisseur Fatih Akin bezeichnen. Der ursprünglich aus Tunesien stammende Kechiche befasst sich in seinen Werken ähnlich wie Fatih Akin mit den integrativen Schwierigkeiten von Migranten in Europa. In seinem Erstling "Voltaire ist schuld" (2001) zeigte er den Leidensweg eines jungen Tunesiers, der sich verzweifelt immer wieder um die französische Staatsbürgerschaft bemühte. Zwei Jahre später in "Nicht ja, nicht nein" begab er sich in die französischen Vororte, um den Alltag von nordafrikanischen Jugendlichen zu beobachten. Gewisse Übereinstimmungen mit den Filmen Akins sind unverkennbar. Und dass es sich bei der Gegenüberstellung dieser beiden Ausnahmeregisseure um keine konstruierte Parallele handelt, beweist die Verleihung des Karlspreises an Akin und Kechiche im Mai dieses Jahres. Beide wurden für ihre Verdienste um die europäische Integration geehrt. So wurden zwei Künstler ausgezeichnet, die beide für ein stilles Kino der Rebellion stehen, da sie den Blick in ihren Werken stets auf soziale Brennpunkte werfen ohne in hysterische und chaotische Dramaturgien zu verfallen.
In "Couscous mit Fisch" beispielsweise äußert sich diese Rebellion bei dem großen Probeessen, dass Slimane für seine potenziellen Geldgeber und die Beamten veranstaltet, damit er die nötigen Genehmigungen für sein Projekt bekommt. Zwar läuft zunächst alles nach Plan, doch schon bald zeigen die Gäste ihr wahres Gesicht. Wenn die Kamera frei und losgelöst von Tisch zu Tisch schlendert wie einer der Keller, hört man immer wieder kleine Kommentare und Gesprächsfetzen, wie: "Wenn dieser Laden hier gut läuft verlieren unsere Restaurants in der Umgebung bestimmt ihre Kunden." Fast nebenbei und beiläufig zeigt sich so eine latente Fremdenfeindlichkeit. Dies wird auch bei dem Spießrutenlauf Slimanes und Ryms durch die französischen Behörden deutlich spürbar. Kechiche lässt dies immer still und leise im Unterstrom seiner Geschichte präsent werden und bildet damit die soziale Wirklichkeit ab. Doch was man dem Filmemacher hier als pessimistischen Weltblick auslegen könnte, stellt für ihn einen Teil der Realität dar, den er selber so empfindet. "Auch ich fühle mich nicht wirklich komplett angenommen, es bleibt immer so ein Rest von Unbehagen", sagte Kechiche in einem Interview. Gegen dieses Unbehagen rebellieren seine Filme.

Das Drehbuch zu "Couscous mit Fisch" musste mehrere Jahr pausieren. Zunächst nahmen die Arbeiten zu Kechiches ersten beiden Filmen viel Zeit in Anspruch und dann starb auch noch sein Vater, der die Hauptrolle spielen sollte. Überhaupt sollte es im ursprünglichen Sinne ein Film mit und über Kechiches Familie werden. Auch der Ersatz für die Hauptrolle starb während der Vorbereitungsphase. Doch dann erinnerte sich der Regisseur an Habib Boufares, einen guten Freund seines Vaters. Boufares ist kein ausgebildeter Schauspieler, wie überhaupt im ganzen Ensemble fast ausschließlich nur Laien engagiert wurden. Umso erstaunlicher ist die stoische Gelassenheit, die Boufares seiner Figur verleiht. In den Falten, die die Zeit in sein Gesicht geschlagen hat, spiegelt sich die volle Härte eines Migrantenlebens. Die zweite überwältigende Überraschung bei den Darstellern ist die junge Hafsia Herzi, die ihre Rym mit einer sagenhaft rotzigen Mischung aus jugendlichem Trotz und heißblütigem Temperament verkörpert. Diese Leistung bescherte ihr nicht nur einen Platz in einer renommierten Pariser Schauspielschule, sondern auch den französischen Filmpreis in der Kategorie beste Nachwuchsdarstellerin. Wie überhaupt "Couscous mit Fisch" der große Abräumer der letzten Kinosaison in Frankreich war (weitere Cesars in den Kategorien "bester Film", "beste Regie" und "bestes Drehbuch").
Alle Preise, die der Film erhalten hat, sind mehr als verdient. Es ist sein großer Verdienst eine familiäre Atmosphäre zu erschaffen und dabei den Zuschauer nie auszuschließen. Man merkt gar nicht wie schnell uns die Menschen auf der Leinwand ans Herz wachsen. Ihr Schicksal, ihr Handeln, ihre Leiden und ihre Freuden interessieren uns. Sie kommen uns sehr nah, ohne sich dabei peinlich entblößen zu müssen. In langen, nur selten durch Schnitte unterbrochenen Einstellungen zelebriert Kechiche unwiderstehlich die vitale Kraft einer Großfamilie. So wird das obligatorische sonntägliche Mittagessen der ganzen Familie zum sinnlich intensiven Spektakel aus lautem Schmatzen, Wortfetzen und kleinen Gesten. Der Regisseur beschwört Augenblicke höchsten Glücks im alltäglichsten Umfeld. Man absorbiert das Geschehen, wird schnell zum Teil der Familie. Daher ist das größte Kompliment, dass man "Couscous mit Fisch" machen kann, dass man sich sehnlich eine Fortsetzung wünscht. Man darf sich aber sicher sein, dass dies nur eine sehnsüchtige Wunschvorstellung bleiben wird.

Abdellatif Kechiche hat einen sehr persönlichen Film gedreht, der aber auf virtuose Weise immer wieder ein wahres Feuerwerk an Temperament entfacht. "Couscous mit Fisch" ist eine mit viel Feingefühl inszenierte Hymne auf die Kraft der Großfamilie, die sich unmittelbar auf den Zuschauer überträgt und hoffentlich niemanden völlig gleichgültig lassen wird. Man kann sich nur wünschen, dass dieser herausragende Film nach den französischen auch die deutschen Leinwände im Sturm erobert.


7
7/10

durchaus sehenswert.leider etwas zu langatmig mit 2std 20 min.
angenehm überraschendes ende und sehr überzeugende hauptdarsteller.
die minutenlangen(teilweise 15 min.)diskussionen und debatten nehmen allerdings allzuoft den schwung aus dem film.trotzdem sehr intimes und emotional bewegendes "kleines" meisterwerk.

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10
10/10

Ein unscheinbares Meisterwerk. Eine stille, ungeschminkte, berührende Liebeserklärung an die vergessene Generation der Gastarbeiter. Kechiche erzählt feiner und tiefer als Fatih Akin.

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10
10/10

Kann mich meinen Vorrednern anschliessen...eine Filmperle die man gesehen haben muss.

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10
10/10

Ich bin sehr beeindruckt. Ein naher und ehrlicher Film.

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