Citizenfour

Originaltitel
Citizenfour
Land
Jahr
2014
Laufzeit
114 min
Release Date
Bewertung
8
8/10
von René Loch / 7. November 2014

Eigentlich sollte man meinen, „Citizenfour“ sei der wichtigste Dokumentarfilm des Jahres – gerade in Deutschland. Schließlich wurde das Handy der Regierungschefin dieses Landes abgehört, wird hier der US-amerikanische Drohnenkrieg laut Auskunft eines ehemaligen Drohnenpiloten überhaupt erst möglich gemacht und nicht zuletzt spielt die Hauptstadt dieses Landes auch eine wichtige Rolle – im Film ebenso wie als Rückzugsort für seine Regisseurin. Die heißt Laura Poitras, hat die US-Regierung mit ihren vorherigen Dokus „My Country, My Country“ und „The Oath“ ordentlich genervt und wurde genau deshalb im vergangenen Jahr von einer Person, die sich selbst als Citizenfour bezeichnete, kontaktiert.

Hinter diesem Decknamen versteckt sich ein zum damaligen Zeitpunkt 29-jähriger hochrangiger Mitarbeiter des US-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes NSA namens Edward Snowden. Dieser kontaktiert nicht nur Poitras, sondern auch den Enthüllungsjournalisten Glenn Greenwald. Nachdem er etwa zwei Millionen Dokumente mit (streng) geheimen Daten in seinen Besitz gebracht hat, flieht er nach Hongkong und trifft sich dort mit Poitras und Greenwald. Snowden setzt die Beiden über die unfassbare Paranoia und Sammelwut des US-Geheimdienstes und die weltweiten Abhörpraktiken ins Bild. Wenige Tage später, am 6. Juni 2013, beginnen „Washington Post“ und der britische „Guardian“ damit, die Dokumente des Whistleblowers zu veröffentlichen, und setzen Ereignisse und Diskussionen in Gang, die noch lange andauern werden.

Es ist wohl nicht übertrieben, die von Edward Snowden ins Rollen gebrachte globale Überwachungsaffäre in eine Reihe etwa mit dem Watergate-Skandal zu stellen. „Citizenfour“ wäre dementsprechend in etwa das Äquivalent zu „Die Unbestechlichen“. Doch während der Film mit Dustin Hoffman und Robert Redford darin beschränkt blieb, die Ereignisse in den 1970ern, die letztlich Präsident Nixon zu Fall brachten, lediglich auf faszinierende Weise filmisch aufzuarbeiten, ist „Citizenfour“ von Anfang an mittendrin. Das liegt vor allem daran, dass sich – im Gegensatz zu „Deep Throat“, dem Watergate-Geheimnisverräter in der Garage, dessen Identität bis zum vergangenen Jahrzehnt geheim blieb – der NSA-Mitarbeiter Snowden frühzeitig zu erkennen gibt. Für die Historiker der Zukunft sowie aktuelle am Zeitgeschehen und guten Filmen interessierte Menschen ist dieser Umstand ein Glücksfall, der wohl seinesgleichen sucht.

So wird man Zeuge, wie Snowden in einem kleinen Hotelzimmer, in dem ein Großteil des Films spielt, Auskunft über die Auswüchse der NSA-Abhörpraktiken gibt. Vor allem aber ist „Citizenfour“ ein beeindruckendes Porträt von Snowden selbst. Glaubwürdig schildert er idealistische Motive, die ihn zu seinem Handeln bewogen haben, in voller Kenntnis der Konsequenzen, die dies für ihn haben könnte und haben würde. Die Freiheit der Menschen sei höher zu bewerten als die Auswirkungen auf seine persönliche Freiheit, sagt Snowden an einer Stelle. Regisseurin Poitras zeigt die Gespräche, wie genau der Ablauf der Enthüllungen geplant wird und die auch immer wieder aufkeimenden Diskussionen über den richtigen Zeitpunkt für die Offenlegung, wer hinter den Leaks steckt. All das jedoch getragen von dem Gedanken, dass es nicht um Snowden selbst gehen soll, sondern um die zahlreichen Dokumente, die über Tempora, XKeyscore und so weiter Aufschluss geben.

Die acht Tage, die Poitras und Greenwald gemeinsam mit Snowden in Hongkong verbringen, laufen in einer erstaunlich entspannten, ob der von den Protagonisten ergriffenen Sicherheitsmaßnahmen teilweise sogar humorvollen Atmosphäre ab. Als großes Glück für Poitras erweist sich gewiss auch der Umstand, dass ihr Hauptdarsteller charismatisch und sympathisch herüberkommt und sich verständlich und bildhaft auszudrücken weiß. Am Ende wird sogar Snowden selbst überrascht – nämlich von der mittlerweile bekannten Information, dass es eine weitere, womöglich höherrangige Quelle gibt. Deren Erkenntnisse wiederum erschüttern selbst den titelgebenden Whistleblower.

Das alles sollte gerade in Deutschland eigentlich auf ein breites Echo stoßen. Stattdessen läuft „Citizenfour“ in weniger als 50 Kinos. Nein, Überwachung, Abhörung und gravierende Einschnitte in die Freiheitsrechte der Bürger spielen in Deutschland nicht die übergroße Rolle. Irgendwann scheint das Empörungspotential über immer neue Enthüllungen erschöpft. Mittlerweile scheint alles, was denkbar ist, auch möglich. Für ein paar Tage sorgen neue Enthüllungen für Stirnrunzeln und Medienkommentare, dass ein neuer Tiefpunkt erreicht sei. Konsequenzen hat das alles aber nicht – weder in Wahlen noch im Regierungshandeln. Man kann das deprimierend finden. Oder man kann darauf hoffen, dass Edward Snowden nur der Anfang ist. Ein Film wie „Citizenfour“ dürfte jedenfalls motivierend wirken – in vielerlei Hinsicht.

Bilder: Copyright

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