Dark City

Originaltitel
Dark City
Land
Jahr
1998
Laufzeit
100 min
Regie
Bewertung
von Frank-Michael Helmke / 14. November 2010

Am Anfang von Alex Proyas‘ „Dark City“ erhält der Zuschauer eine minimale Einführung durch den Off-Kommentar einer asthmatisch-abgehackten Stimme: Seit Anbeginn der Zeit existierte im Universum eine Spezies, die allen anderen in der Entwicklung so weit voraus war, daß sie inzwischen sogar die Veränderung physikalischer Dinge durch bloße Gedankenkraft beherrschte. Doch nach vielen Millionen Jahren war ihre Spezies dabei, zu sterben, und so machten sie sich auf, durch das Universum, auf der Suche nach einem Weg, Unsterblichkeit zu erreichen.

Dabei stießen sie auf die Erde, und glaubten, hier die Lösung ihres Problems entdeckt zu haben. Der Besitzer dieser Stimme nennt seinen Namen und gibt zu, diesen Wesen bei der Verfolgung ihrer Ziele behilflich zu sein, und somit seine eigene Spezies verraten zu haben. Mehr Einführung gibt es nicht. Jede weitere Frage bleibt, fürs erste, unbeantwortet.
Ein Mann liegt schlafend in einer Badewanne. Er wacht auf, er weiß nicht wo er ist, er weiß nicht wer er ist. Er steigt aus der Wanne, zieht sich an, und sieht plötzlich im Schlafzimmer die Leiche einer stark verunstalteten Frau liegen. Das Telefon klingelt. Eine asthmatisch-abgehackte Stimme sagt dem Mann, daß er sofort verschwinden soll, sie wären schon hinter ihm her. Der Mann flüchtet. Kurz darauf erscheinen ein paar bleiche, dunkelgekleidete Männer im Zimmer. Sie sind zu spät. Er ist schon weg.

Man sieht, schon der Anfang dieses Films hat es in sich. Während der nächsten eineinhalb Stunden sehen wir zu, wie dieser Mann auf eine Reihe beunruhigender Fragen stößt, und diese nach und nach beantwortet. Seine Identität ist das geringste Problem. Schon bald weiß er, daß er John Murdoch heißt, eine Sängerin zur Frau hat, und sich kürzlich mit ihr gestritten hat. Aber: Ist das wirklich seine Ehefrau? Und hat er die Frau in diesem Hotelzimmer umgebracht? Und auch die fünf anderen, die genau so zugerichtet in den letzten Wochen aufgefunden worden waren? Und was wollen diese dunklen Gestalten von ihm? Und wieso ist in dieser Stadt immer Nacht? Und warum scheint jeder schon einmal in Shell Beach gewesen zu sein, aber keiner weiß mehr, wie man da hin kommt?
John Murdoch ist verwirrt, aber schon bald wird ihm klar, daß er die einzige Person zu sein scheint, die das Geheimnis lüften kann. Es bleibt ihm nicht viel Zeit. Außer den dunklen Gestalten heftet sich auch bald ein emsiger Polizist an seine Fersen, der ihn für einen Serienkiller hält. Und dann ist da noch dieser Psychiater mit der asthmatisch-abgehackten Stimme, der als einziger zu wissen scheint, was vor sich geht. Keine besonders angenehme Situation, wenn man schon bald daran zweifeln muß, ob man wirklich der ist, der man glaubt zu sein.
Die Grundstimmung des Films ist fast genau so kafka-esque paranoid wie der Gemütszustand des Helden, da der Zuschauer nur mit wenig mehr Informationen versorgt wird. Dies trägt entscheidend zu der unglaublichen Wirkung bei, die „Dark City“ auf seine Zuschauer hat. Aber das ist nicht alles. Der Film ist ein wahrer Ausstattungstriumph. Die Sets alleine verschaffen dem Film eine einzigartige Atmosphäre, wie man sie bisher höchstens bei „Batman“ und „Metropolis“ erlebt hat. Die Stadt ist bis ins kleinste Detail perfekt durchkonstruiert, und obwohl sie größtenteils aus bekannten Versatzstücken besteht, erscheint sie durch die Kombination völlig fremdartig. Da wird Technologie von heute mit Restaurants von morgen und Autos von gestern vermischt, aber niemanden scheint das zu irritieren. Während der Zuschauer beim ersten Blick auf die Straße bemerkt, daß hier irgend etwas nicht stimmt, wundern sich die Einwohner dieser Stadt noch nicht einmal, warum es immer dunkel ist. Bis man sie fragt.

Es ist schwer, über „Dark City“ zu reden, ohne viel zu verraten, aber gerade das ist wichtig, um den Film nicht zu ruinieren. Nur so viel sei gesagt: „Dark City“ ist so etwas wie der zweite „Blade Runner“, aber bei weitem mehr als ein bloßer Abklatsch. Wie bei „Blade Runner“ findet sich der Zuschauer in einer gleichzeitig vertrauten und doch fremdartigen Stadt wieder, deren schieres Ideenreichtum fast die Sinne kollabieren läßt. Wie bei „Blade Runner“ handelt es sich um die pefekte Adaption einerSciFi-Geschichte in einen Film noir. Und wie bei „Blade Runner“ (und jeder anderen guten SciFi-Story) werden wir in eine faszinierende neue Welt gestoßen, in der eine faszinierende neue Geschichte erzählt wird, die in ihrem Zentrum jedoch auf einer simplen, universellen und zeitlosen Frage beruht. Die Frage bei „Dark City“ lautet: Ist ein Individuum mehr als die Summe seiner Erinnerungen? Wen die Antwort interessiert (und ich liebe diese Antwort), der sollte sich diesen Film nicht entgehen lassen.

„Dark City“ ist ein recht neuer Film, genau genommen von letztem Jahr, und erst seit ein paar Wochen auf Video erhältlich. Warum ich ihn hier dennoch anführe: Damit ihn jemand bemerkt. Als der Film letztes Jahr in die Kinos kam, ging er völlig an mir vorbei. Das soll heißen: Ich wußte nicht einmal, daß es ihn gibt. So ging es allen anderen anscheinend auch, denn so ziemlich niemand hat ihn gesehen. Ich hörte zum ersten Mal von „Dark City“ als der große Roger Ebert ihn an die Spitze seiner „Top Ten Movies of 1998“ setzte. Da war mein Staunen natürlich groß: Ebert setzt einen Film auf Eins, und ich habe noch nicht einmal davon gehört? Nachdem ich ihn dann endlich auf Video gesehen hatte, konnte ich verstehen, warum „Dark City“ zumindest als der beste Genre-Film von 1998 gilt. Auch wenn mir dieses Mal wirklich die Worte fehlen, um die Wirkung des Films vernünftig zu beschreiben (es ist wie „Blade Runner“, nur geiler ... nee, das reicht einfach nicht), kann ich nur jedem sagen: Geht hin, leiht ihn aus, zieht in euch rein! Es lohnt sich! Nein, mehr. Es erweitert euren Horizont. Und das meine ich ernst.


Dieser Film macht erst heute richtig Spass, weil man weiß, dass er eben vor Matrix, Sin City, Trumashow etc. gedreht wurde und anscheinend alle diese Filme inspiriert hat.
Diesen handgestrickten-theatralischen-40er Jahre-Film noir-Look finde ich ziemlich cool und er gibt diesen Fim etwas Eigenes.

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10
10/10

...nun ist dieses Juwel schon über 10 Jahre alt, und selbst wenn dieser Film erst gestern rausgekommen wäre würde er für Staunen sorgen. Heutzutage wären die Vergleiche wohl weniger in Richtung Matrix als vielmehr Richtung del Toro angelegt... aber nach all den Jahren wird immer klarer was für ein aufregender Meilenstein "Dark City" war und ist.
So sehen echte Klassiker aus.

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10
10/10

danke zdf neo ... eine bombe. ein klassiker. wir schreiben 2011 und ich freue mich über einen 13 jahre alten film wie mein opa über technicolor. wie oben gesagt mir fehlen die worte um den film gänzlich zu erfassen... holen anschauen. befehl.

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9
9/10

Was soll man dazu sagen? Vom Anfang bis zum Ende gefesselt gewesen von dieser 13 Jahre alten Möhre. Sprachlos. Ein absolut fantastischer Film; sage mal, auf gleicher Stufe wie Blade Runner. Da kann Neo nach Hause geschickt werden :)

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8
8/10

Interessant diesen Film mit Matrix zu vergleichen - da sind doch einige Parallelen zu sehen!
Im vergleich mit "Matrix" gewinnt dieser Film für mich deutlich, weil er mehr Wert auf Poesie und Psychologie legt und nicht so viel aufs Kung-Fu&Baller-Gleis abschiebt.
Fast ein wenig wie "Momo für Erwachsene", allerdings ist die Endmessage dann im Gegensatz zu Momo doch recht egozentrisch - das "Happy End" scheint mir ein wenig an Nietsche "Supermann" angelegt.
Die Gewalt gegen die "grauen Herren" ist auch etwas over the top, so schlimm ist es doch auch nicht um uns bestellt... solche fiesen Typen gibt es doch in der Welt der Bösewichter garnicht wie diese Sado-Zombies! hm.

Auf der philosoph/religiösen Ebene gibt der Film aufgrund seiner totalen "ego"-Ausrichtung Rätsel auf, ansonsten definitiv ein Favourite.

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