Is' was, Doc?

Originaltitel
What's up, Doc?
Land
Jahr
1972
Laufzeit
94 min
Genre
Bewertung
von Frank Vollmer / 20. Juni 2010
Mit den Zufällen ist das ja so eine Sache: Man kann daraus machen, was man will. Gerne, Immer wieder und mit wechselndem Erfolg versuchten und versuchen Zeitgenossen, in erstaunlichen Ereig-nissen Muster zu erkennen, die sie dann einem großen Plan und einer höheren Macht zuschreiben (besonders beliebt sind "Schicksal", "Vorsehung" oder "die Regierung"). Die drei Herren Könige aus dem Morgenland dürften die ersten sein, die in dieser Richtung groß herumkamen und es damit zu unsterblicher Berühmtheit brachten. Die anderen, die sich für mutiger halten, nennen solche Überzeu-gungen frommen Firlefanz und sind der Ansicht, das ganzeWeltgeschehen sei überhaupt nur die Folge eines großen chaotischen Herumrasens von winzigen Leptonen, Neutrinos und Antiquarks, oder wie immer sie diese Elementarteilchen auch sonst nennen mögen.

Auch das Kino hat sich, das sollte uns nicht wundern, gern mit der Frage "Zufall oder Fügung?" be-schäftigt, und dabei sind einige wirklich gute Filme rausgekommen (etwa "Magnolia" 1999, "Amores Perros" ein Jahr später oder aus Deutschland "Lola rennt" von 1998), manchmal mittelprächtige (wie "Final Destination") und leider auch richtige Gurken (man denke nur mit Schaudern zurück an den grauenhaften "Weil es dich gibt"). Das Problem bleibt eine der faszinierendsten Fragen für Filmema-cher von Bochum bis Bollywood, für Regisseure von Iñárritu bis Bogdanovich.

Denn auch in "Is' was, Doc?" (der etwas dämliche Titel ist ausnahmsweise mal nicht Schuld des deutschen Verleihs) wird zunächst ein etwas eigenartiger Zufall konstruiert. In einem Luxushotel in San Francisco versammeln sich vier haargenau gleich aussehende Reisetaschen, allerdings mit sehr un-terschiedlichem Inhalt: In einer stecken prähistorische Eruptivgesteine, in der anderen ein Haufen Schmuck von unschätzbarem Wert, in der dritten streng geheime Papiere und in der vierten ordinäre Damenwäsche. Dass sich dahinter allerdings göttliches Eingreifen verbirgt, glauben schon nach kur-zer Zeit nur noch wenige der Beteiligten - eher scheint das Ganze (fast) allen Betroffenen ein teufli-scher Geniestreich des Zufalls zu sein, der die Dinge ungeheuer verkompliziert. Aber andererseits ist in der ganzen Angelegenheit doch mehr arrangiert, als man auf den ersten Blick denken könnte.

Klingt alles reichlich kompliziert. Ist es auch. Worum geht es denn überhaupt? Also nochmal ganz langsam: In San Francisco treffen an einem beliebigen Tag der glorreichen siebziger Jahre, als die Musik noch handgemacht, die Hemdkrägen noch beliebig lang und die Hosenschläge so weit wie ein Minirock waren, eben jene bereits erwähnten hübsch-hässlich rotkarierten Reisetaschen zusammen. Die erste gehört Howard Bannister (Ryan O'Neal, als er noch jung und schön war) - Doktor Howard Bannister, um genau zu sein, einem verschrobenen jungen Wissenschaftler, der in der Absicht nach San Francisco gereist ist, mit seiner ebenso verschrobenen Theorie über prähistorische Tonleitern das begehrte Stipendium des gleichfalls verschrobenen Stiftungs-Gründers Larrabee (Austin Pendleton als exzentrischer Mäzen) zu erringen. Deswegen gehört ihm natürlich Tasche Eins - die Steinsammlung. Begleitet wird Howard von seiner exaltierten Verlobten Eunice Burns (Madeline Kahn, phänomenal in ihrer ersten großen Rolle), die schon am Flughafen das Personal mit ihrer herrisch-hysterischen Art zur Verzweiflung bringt.
Gleich nach seiner Ankunft trifft unser Doktor Howard aber auch schon auf Judy Maxwell (Barbra Streisand), ein mit attraktivem Silberblick gesegnetes Frauenzimmer, das Hochschulen verschleißt wie andere Leute Unterhosen und das Tasche Nummer Vier mit sich herumträgt, die mit der Wäsche. Judy verliebt sich auf den ersten Blick in den überforderten Musikologen und hängt sich fortan, ganz wörtlich zu nehmen, an seine Rockschöße, auch im Hotel, beim Larrabee-Kongress und während aller aberwitzigen Verwicklungen, die sich daran anschließen. Miss Maxwell schreckt nicht einmal davor zurück eine falsche Identität anzunehmen - nämlich die von Eunice ("Eunice? Das is'n Name für'n Menschen?") - um den kleinen Mister Larrabee mit Leichtigkeit um den Finger zu wickeln und gleich-zeitig Howard (den sie verwirrenderweise andauernd Steve nennt) rumzukriegen. "Sie sind der Nagel zu meinem Sarg, Sie sind die Pest!", stöhnt der brave Howard, bevor er Judys Charme erliegt, und er hat damit nicht ganz Unrecht: Diese Frau zieht das Durcheinander an wie ein Magnet. Um einen be-kannten Bürospruch abzuwandeln: Überall auf der Welt herrscht Chaos, aber wo sie ist, ist das Zent-rum.
Damit nicht genug. Die Taschen Zwei und Drei komplizieren das ganze Setting so weit, dass die kriti-sche Masse für die in Gang zu setzende screwball comedy endgültig erreicht ist: Der Journalist Mr. Smith (Michael Murphy) wird mitsamt Dokumententasche vom Agenten Mr. Jones (Philip Roth) ver-folgt, und die ebenso reiche wie alte und überkandidelte Millionärin Mrs. van Hoskins (Mabel Albert-son) mit ihrem Geschmeide ist gleichfalls Objekt krimineller Umtriebe, und zwar seitens des Hotelper-sonals. Wer die Story nicht kennt, wird es spätestens hier erraten haben: Die Taschen geraten natür-lich durcheinander, die Handlungen vermengen sich, die große Unübersichtlichkeit ist perfekt. Zu al-lem Unglück spielt auch noch der Halbitaliener Simon (Kenneth Mars als eingebildeter Großkotz mit toller Tolle) als Mitbewerber um das Larrabee-Stipendium eine zwielichtige Rolle in der ganzen Ge-schichte. Die Sache endet jedenfalls vor Gericht - aber eigentlich endet sie da nicht, sondern fängt erst richtig an....

"Is' was, Doc?" ist allein schon deswegen ein Meilenstein des komischen Kinos, weil gegen Ende des Films eine Verfolgungsjagd durch die steilen Straßen San Franciscos geboten wird, die in ihrer virtuo-sen Komik ihresgleichen sucht. Zum Einsatz kommen ein Fahrrad mit aufmontiertem Kofferraum (für die Taschen, wofür sonst?), ein direkt vor der Kirche weggestohlener Just-Married-Käfer, reichlich Limousinen amerikanischer, vorwiegend älterer Bauart, ein VW-Bus (allerdings in einer wirklich passi-ven Rolle), mehrere Polizeiwagen, ein Autotransporter, Cable Cars und ein chinesischer Karnevals-drachen. Das knapp zehn Minuten lange Resultat, an dem allein nicht weniger als vier Wochen ge-dreht wurde, dürfte in der ewigen Hitliste der cineastischen Autorennen für immer eine der vordersten Positionen einnehmen. Schon die Art und Weise, auf die Bogdanovich vorexerziert, wie genial man das uralte Problem der über die Straße getragenen Glasscheibe lösen kann - natürlich geht sie am Ende kaputt, aber wie! - sichert "Is' was, Doc?" einen Platz im Kino-Olymp.
Der durchweg fulminante Wortwitz der Dialoge (von dem in der deutschen Version leider eine Menge verloren geht) und die erstklassigen Schauspielerleistungen erhöhen den Spaß an der Sache, doch das bieten andere Filme schließlich auch. Peter Bogdanovich gebührt aber das Verdienst, mit "Is' was, Doc?" die perfekte Revitalisierung eines ganzen Genres geschafft zu haben: die gute alte screwball comedy, die mit ihren Maschinengewehr-schnellen Dialogen, zündendem Wortwitz und klamaukhaften Überdrehtheit in den 1930er Jahren reihenweise Leinwandklassiker zustande brachte. Sein Film scheint mitunter eine einzige Parodie, ein Riesenremake oder eine große Hommage - so genau weiß man das nie, man hat auch nie genug Zeit, sich darüber Gedanken zu machen - an die entsprechen-den Standardwerke des Schwarzweißkinos zu sein, allen voran "Leoparden küsst man nicht" ("Bringing Up Baby") von 1938 mit Katharine Hepburn und Cary Grant. Auch dort wird ein versponnener Wissenschaftler von einer zielstrebigen, scheinbar komplett durchgeknallten jungen Dame verfolgt, nur dass nicht eine Gesteinskollektion, sondern ein Brontosaurier-Skelett den prähistorischen Rahmen abgibt. Bis in kleine Details, etwa die zerrissene Smokingjacke, zitiert Bogdanovich seinen Kollegen Howard Hawks, ohne dabei aber irgendwie abgedroschen oder einfallslos zu wirken.
Solche genialischen und durchweg gelungenen Hommage-Coups sind selten - ähnlich zu beobachten vielleicht noch in Stanley Kramers "Eine total, total verrückte Welt" ("A Mad Mad Mad Mad World") von 1963 mit Spencer Tracy, der die irren Autorennen der Seifenkistenära zitierte. Und nach "Is' was, Doc?" sind die Beispiele ebenso rar gesät. Der anarchische Humor der Abrahams-Zucker-Bande ("Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug", "Top Secret", "Die nackte Kanone") wäre jedenfalls ohne das stilbildende Beispiel von Bogdanovich kaum denkbar. Deswegen haben wir es hier mit ei-nem ganz großen Wurf und einem geschichtlichen Bindeglied zwischen der sozusagen filmprähistori-schen Zeit der Dreißiger und unseren Tagen zu tun - von der Choreographie der Massenprügelszene inklusive wild rumballernder Oma im Stiftungshaus 888 Russian Hill könnte sich auch der junge Meis-ter Spielberg sieben Jahre später in seinem "1941 - wo bitte geht's nach Hollywood" das eine oder andere abgeschaut haben. Und das will immerhin was heißen.

Barbra Streisand und Ryan O'Neal treten also als würdige Nachfolger in die wirklich großen Fußspu-ren von Katharine Hepburn und Cary Grant, unterstützt von einer ganzen Armada drolliger Nebenfigu-ren, reichlich skurriler Einfälle (wer schon immer wissen wollte, wie man zuverlässig einen Hotelzim-merbrand auslöst, sollte hier mal reinschauen) und - auch das gibt's noch obendrein - einer überra-schenden Wendung am Schluss. Eigentlich ist das Ganze aber nur eine unwiderstehliche Liebeserklä-rung an das amerikanische Kino, als man noch richtig alberne Filme machen durfte. Bogdanovich ist sich glücklicherweise nicht einmal für eine Tortenschlacht zu schade - ein großer, anarchischer Kin-dergeburtstag auf Zelluloid.
Oder, Zitat Judy: "Lieben bedeutet, niemals um Verzeihung bitten zu müssen." Dr. Bannisters Erwide-rung: "Was Dümmeres hab ich noch nie gehört." Entschuldigen muss sich Peter Bogdanovich trotz-dem nicht für diesen Film.


einer der besten Filme die es gibt tolle rezension

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10
10/10

"It's a must" für alle SFO-Faszinierten. Ich weiß nicht, wie oft ich mir diese Komödie schon gegönnt habe, finde dennoch immer wieder neue "Schenkelklopfer" darin. Super Rolle für Barbra Streisand. Unübertrefflich!

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