Glengarry Glen Ross

Originaltitel
Glengarry Glen Ross
Land
Jahr
1992
Laufzeit
100 min
Genre
Regie
Bewertung
von Frank-Michael Helmke / 14. November 2010

Der Werbeslogan zu „Glengarry Glen Ross“ lautet:  „A movie for everybody who is working for a living.“ Das soll weniger implizieren, daß dies ein Film für die arbeitende Bevölkerung ist. Es ist viel mehr ein Film über Arbeit. Was sie aus uns macht, wie wir von ihr abhängen, und wie sie uns an unsere eigenen Grenzen treiben kann.
Dabei ist das Setting absolut unspektakulär: Die Hauptfiguren in „Glengarry Glen Ross“ sind Immobilienmakler. Sie arbeiten in einem schäbigen Büroraum an vier Schreibtischen, mit einem Bürovorsteher in einem eigenen Glaskasten. Die Geschäfte laufen schlecht. Abgesehen von Büro-Hotshot Ricky Roma (Al Pacino), der verkauft wie eh und je, sieht die Bilanz des Büros ziemlich mies aus. Aus diesem Grunde taucht ein Abgesandter des Vorstands aus der Innenstadt auf, und hält den Maklern eine kleine Motivierungsansprache: Es gibt einen Verkaufswettbewerb. Der erste kriegt einen Cadillac, der zweite ein Set Steakmesser, der dritte kriegt seine Papiere. 
Entsetzen macht sich breit unter den Betroffenen. Sie sind so weit unten auf der Skala, daß sie nur noch die Adressen von Leuten bekommen, die eigentlich keine Immobilien kaufen wollen, und damit können sie auch nichts verkaufen. Im Zimmer des Bürovorstehers (Kevin Spacey) sollen angeblich einige gute Adressen lagern, aber wie kommt man da ran? Während Dave (Ed Harris) und George (Alan Arkin) nur mal rein spekulativ überlegen, ob man unbemerkt einbrechen könnte, versucht Shelley „the Machine“ Levine (Jack Lemmon) sie zu kaufen. Levine ist die zentrale Figur: Alle sind sie von plötzlicher Arbeitslosigkeit, Identitäts- und Wohlstandsverlust bedroht, aber Levine verkörpert die ganze Tragik der Situation. Früher, das läßt sein Spitzname erahnen, war er mal eine echte Verkaufsmaschine, aber die Zeiten sind vorbei, und so muß er schmerzlich lernen, daß eine große Vergangenheit im Geschäft nichts zählt, wenn die aktuelle Bilanz nicht stimmt.
„Glengarry Glen Ross“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks von David Mamet. Mamet ist einer der besten zeitgenössischen Theaterautoren Amerikas, und hat auch schon mehrere gute Drehbücher geschrieben („Wenn der Postmann zweimal klingelt“, „The Untouchables“ etc.). Dieses Stück entstand in den 80ern, als die USA ihre letzte große Sause unter Ronald Reagan veranstalteten und die Wirtschaft mit völlig überzogenen (und nicht gedeckten) Investitionen in neue Gewinndimensionen vordrang. Der damaligen euphorischen Stimmung ging das Stück natürlich total konträr. In der verkaterten Stimmung der frühen Neunziger, als das wirtschaftliche Desaster langsam Konturen annahm und der jahrelange Selbstbetrug in einer großen Rezession endete, war „Glengarry Glen Ross“ aber perfekt plaziert. Die stumm umhergehende Angst, daß kein Arbeitsplatz sicher war und man nur ein paar schlechte Monate vor langfristiger Arbeitslosigkeit entfernt war, lähmte das Land und fand in dieser Verfilmung eine angemessene Stimme.

Der Film selber ist zu keinem Zeitpunkt mehr als ein verfilmtes Theaterstück. Es gibt nur wenige Settings und ein Minimum an auftretenden Charakteren (wobei der „Motivator“, von Alec Baldwin eiskalt genial gespielt, sogar noch extra für den Film hineingeschrieben wurde), daher ist visuell natürlich nicht so sonderlich viel geboten. Ein solcher Film hängt auf Gedeih und Verderb von seiner dramatischen Dichte und der Qualität seiner Darsteller ab. Und offen gesagt, in diesen Belangen kann man lange nach besserem suchen, man wird es kaum finden. Mamets Stück selbst ist schon unglaublich packend (verdientermaßen Pulitzer-Preisträger), was die Darsteller allerdings noch daraus machen, ist bar jeder Beschreibung. Als würden sich die Protagonisten nicht in einem Verkaufs- sondern in einem Schauspielwettstreit befinden, von dem ihre Existenz abhängt, spielen sie sich in jeder Szene gegenseitig an die Wand und liefern so eine Gesamtleistung ab, in der man nach einer Schwachstelle sucht, und letztendlich nur bemängeln kann, daß sie nicht noch mehr zu sagen haben.
Harris und Arkin spielen eigentlich nur die zweite Geige, was die Rollenverteilung im Stück betrifft, das hält die beiden aber nicht davon ab, in einem kongenialen Dialog ihre ganze Klasse aufzufahren, in dem keiner sagt, was er wirklich denkt, und trotzdem alles gesagt wird. Al Pacino, als der einzige nicht bedrohte Makler, sitzt die meiste Zeit in einem China-Restaurant und versucht einer Bar-Bekanntschaft Immobilien anzudrehen. Ihm dabei zuzusehen ist schon atemberaubend. Und dann schließlich Jack Lemmon, der in seinem hohen Alter nochmal alles in den Schatten stellt, was er zuvor einmal gespielt hat, und jeden aufsteigenden Jungschauspieler heulend nach Hause zu Mami schickt. Guck mal, was der Opa noch alles drauf hat!
Als ich das erste Mal „Glengarry Glen Ross“ gesehen habe, wollte ich eigentlich nur mal kurz reinschauen, als er gerade im Fernsehen kam. Nach den ersten zehn Minuten war ich nicht mehr fähig, abzuschalten. Hier haben wir einen der ganz seltenen Fälle im Kino der Neunziger, wo der Zuschauer noch von den darstellerischen Leistungen aus dem Sitz gehauen wird, und nicht von gigantischen Explosionen und millionenschweren Spezialeffekten. Eine wahre Perle, die es wert ist, gesehen zu werden. Auch wenn man nicht arbeitet.


10
10/10

@sega: Hast du Lust, kurz zu erzählen, was da für Bewertungen rausgekommen sind? Ich kann mir vorstellen, dass das (in einem business-studiengang?) nicht alle so schlecht fanden.

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10
10/10

ein wirklich brillianter film, mit tollen schauspielern, einfach anschauen!!!

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9
9/10

Bedrückend, traurig, beklemmend, grandios, genial.

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